Lebensbilder I (German Edition)
wie es meiner Lage natürlich und verzeihlich ist, veranlaßt, wahrlich, mit Vorsatz kann ich's mir nicht aneignen. Es ist so schwer zu wirken, wie ich wirken möchte, daß man für diese kleinen Äußerlichkeiten wenig Aufmerksamkeit übrig behält.«
»Bravissimo!« rief Rastignac, »und wie du zu mir jetzt sprichst, im selben Geiste rede auch zu andern, mehr wird ja von dir nicht begehrt. Was schadet's, ob du dieser Scharlatanerien, Koketterien, oder wenn du's lieber hörst, Äußerlichkeiten bedarfst, um dich selbst in der Stimmung zu erhalten, wohin du andere versetzen willst, oder ob du mit Absicht sie dir aneignest, – genug, daß alles dies vorhanden ist. In der Tat, Raphael, ich bekomme eine große Idee von deinem Genie, das in seiner Unschuld alles dasjenige trifft, was mir erst durch mannigfache Erfahrung und Anschauung aufgegangen. Nun, sei ganz Dichter, um es ganz zu scheinen. Was kümmern mich deine Beweggründe? Das Äußere, dies bedenke, wirkt, und was du denkst und fühlst, ist nichts, wenn es nicht auf anständige und vornehme Art sich darlegt.«
Feodora trat zu uns, und ich stand ganz Auge! Sie trug eine japanische Frisur, ihr Haar war ganz aus dem Antlitz gestrichen und oben zu einer turmhohen Flechte vereint, in welcher rote, blaue, silberne und goldene Glockenblumen wankten. Ihr Kleid von bunter Seide war mit Litzen mannigfach besetzt. Ein goldner Gürtel umschlang ihren herrlichen Leib. Sie trug goldene Armbänder und vielfach goldene Ketten um den Hals. Mit einem Worte, sie schien so phantastischsüß in einer so bunten Fülle bizarrer, fast törichter Reize, daß mir war, als trete die Muse meines Lieblingsdichters, seinem jüngsten Werke frisch entsprungen, leibhaftig mir entgegen.
»Die romantische Poesie, Freund!« flüsterte auch Rastignac mir zu. »So närrisch hat sie sich für niemand noch gekleidet. Das Glück ist mit dir! wohlauf, sei klug!«
Er ging; Feodora trat zu mir, sie sagte mir viel Artiges und Verbindliches, ich führte sie zur Gesellschaft zurück und hatte ein Selbstvertrauen, einen Stolz gewonnen, daß selbst Rastignac mir verstohlene Beifallszeichen gab. – Sie mußte mich verstehen, unsre beiden Wesen mußten im tiefsten heimlichsten Innern eins sein. Sie kleidete sich nicht nur, sie lebte für mich. Es war mir, als sei ich in der großen, glänzenden Assemblee nur mit ihr allein; wie Halbmenschen, Puppen, Affen erschienen mir die übrigen Anwesenden, ich mochte auf sie nicht achten. –
Endlich schritt man zur Sache, ich mußte auf einem Lehnstuhl vor einem kleinen Tisch Platz nehmen, zwei silberne Armleuchter brannten auf demselben. Aller Augen wandten sich zu mir, vor den meinen stand aber nur Feodora, als ich begann.
Der leichte märchenhafte Anfang der »Runenburg« ergötzte sie; in dem schönen Waldweibe, das man ohne Liebeswahnsinn nicht betrachten konnte, schien sie eine Anspielung auf sich zu finden, obschon das Kostüm, welches ihr der Dichter gab, Befremden erregte. Als aber die ersten Spuren des Wahnsinns, wie vom Zufall hergeleitet, sich einstellten, bei dem Liede von den Blumen, bei dem mineralischstarren Wahnsinn ward sie kälter und immer kälter. Je mehr das Interesse wuchs, desto auffallender ward ihre Teilnahmlosigkeit. Sie bewegte sich, machte Geräusch, um so auffallender, weil ringsum Grabesstille herrschte. Alle Augen starrten, weitaufgerissen, mich an. Hin und wieder funkelte eine Träne darin. Auch Rastignac saß ernst und wie leblos da. – Nie hatte ich mit solchem Feuer gelesen, ich wunderte mich über mich selbst. Nie genügt man sich, wenn man im stillen Kämmerlein die Kräfte übt, doch die eigne Wirkung auf Hörer deutlich wahrzunehmen, belebt, ermuntert, begeistert, ermutigt. Alles gelang mir, und doch blieb Feodora kalt, kalt bei der letzten herzzerreißenden Wahnsinnsstarrheit, die für immer vom Leben scheidet, um im Häßlichen und Toten sich zu berauschen, worin die verrückten Sinne des höchsten Daseins Wonnen zu sehen vermeinen.
Unwillig schwieg ich. – Man trat zu mir, überhäufte mich mit Lobsprüchen, nur Feodora sagte kein Wort und – Rastignac. Ich bat in meiner Verzweiflung, auch noch das zweite Märchen vorlesen zu dürfen. Mit einstimmiger Freude wurde es gebilligt. Feodora warf mir einen strengen, fast strafenden Blick zu, aber sie vermochte dem allgemeinen Wunsche nicht entgegen zu sein.
Tiecks »Liebeszauber« ist eine weibisch verzärtelte Poesie voll Idiosynkrasien weiblicher Nervosität, mit
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