Lebensbilder I (German Edition)
nicht durch deinen Verstand. Euch Genies wirft eure wunderliche Konstellation zuweilen Gewinne in den Schoß, um die sich andere ehrliche Leute lebenslänglich und fruchtlos abmühen. Ihr aber habt nichts Besseres damit vor, als sie aus der Tasche zu verlieren. O Raphael! du machst mich noch aus Bosheit und Raserei zu einem gescheiten Manne, der sich hinstellt und Reflexionen über Menschenleben macht, trotz einem Schulmeister. Von jeher herrschte in Salons Langeweile. Der gute Ton begehrte sie, dies Urgesetz der großen Welt, wider dessen Heiligkeit sich zu empören, noch keines Menschen leisester Gedanke sich erkühnte. Ein Wortspiel, ein Bonmot, eine Neuigkeit gingen von Mund zu Mund wie das brennende Hölzchen, bis sie erloschen. Es waren die Oasen in der grenzenlosen Wüste, worüber die hungrigen Kamele sich herstürzten, bis sie abgeweidet. Ein Künstler, der sich hören ließ, ein Dichter, der seine Verse deklamierte, bewirkte nur musikalische oder rhythmische Langeweile statt der gewöhnlichen. Du, der erste, der ergriff, hinriß, begeisterte – oh, es ist unerhört, solange es Salons gibt! – und hätte ich gestern mittag noch gewußt, was und wie du vortragen würdest, ich hätte dir gesagt: Freund! das alles ist gut, aber für diese Gelegenheit unpassend. – Du jedoch hast Glück gehabt, kannst dir einen Dichterruf jetzt begründen, wodurch aber? Bloß durch dein Genie? Oh, das ist keine Salonpflanze, und früher oder später kommt man darauf: dies ist nicht für uns. – Nein! – reden muß man von dir und nur von dir reden. Du kannst jetzt der Held des Tages werden, du bist der Liebling der Damen, deren Eitelkeit und Neid in dir den Rächer sieht, der Feodorens Macht trotzt. Auch alle Männer müßten dich achten, wenn dir gleichgültig ist, was sie anbeteten, und – du liebst Feodora! Die Damen werden in dir einen Undankbaren, die Herren nur ihresgleichen sehen! – Was, bist du ein Dichter, und dein Fleisch ist dir mehr als dein Dichtertum? Du glaubst, um deinetwillen, aus Liebe zu dir habe Feodora gestern wider allen Ton und Lebensart verstoßen? Keineswegs! Lerne sie kennen! Trotz ihrer Schönheit, dem vornehmen Nimbus, den sie um sich verbreitet, trotz ihrem prahlerischen Luxus und ihrer bis ins Kleinste getriebenen Prachtliebe ist sie nur eine – Abenteurerin! – Ihr Ansehen in der großen Welt, ihr Königinnentum auf jedem Feste ist ihr alles, ihr Kapital, ihr Landgut, ihre Renten, ihre Existenz. Du hast es gewagt, in ihrer Gegenwart zu glänzen, hast Gefühle, Tränen, Gemütserschütterungen bewirkt, die nicht ihr galten. In ihrer Existenz hast du sie angegriffen, und darum war sie empfindlich, darum zeigte sie – nichts als Egoismus und entlarvte sich, zum erstenmal in ihrem Leben, als Abenteurerin! – Mit Unhöflichkeit kann höchstens fürstliches, sehr vornehmes, uraltes Geblüt imponieren, wo dies zweifelhaft ist, selbst der Reichtum unbegründet, da erhalte man sich um Gottes willen in der Höflichkeitsglätte. Doch freilich! gekränkte Eitelkeit raubt wohl die Besinnung, und wir bleiben unserer selbst nicht mehr mächtig!«
»Feodora eine Abenteurerin?«
»Ja, Freund! Ein Geschöpf, wie es heutigentages viele gibt, die von dem Kapital ihrer Schönheit leben, so leben, wie du siehst, daß Feodora lebt. Sie sind keusch und tugendhaft, denn der Rentier darf sein Kapital nicht angreifen. Nur die Unbesiegte lockt. Sie ist die schönste Frau in Paris, mithin in der Welt, und ihr den Hof zu machen, ist Mode. Darum seufzt die ganze elegante Welt bei ihr. Das ganze diplomatische Korps liegt ihr zu Füßen, und jeder Mann von Ansehen und Macht wünscht wenigstens, sie kennen zu lernen, was immer der erste Schritt ist. Um ihren Hofstaat zu vermehren, tauchen Schwärme von Glücksrittern aus ihrem Nichts empor, setzen all das Ihrige zu, um die Rolle unglücklicher Liebenden vor ihr zu spielen, und sinken, wenn ihr Brennöl, ihr Gold nämlich, verzehrt ist, in ihre ursprüngliche Nacht und Finsternis zurück. – Daß Feodorens Einfluß auf diese Weise sich über die ganze zivilisierte Welt erstreckt, ist keine Frage. Wer etwas durchsetzen oder erlangen will, wendet sich an sie. Ist die Vermittlung einer hohen Person, die sie noch nicht besucht, dazu nötig, so finden sich zwanzig gute Freunde, sie einzuführen, und sie lächelt und lächelt immer wieder, bis der große Hans geschmeidig wie ein Aal zu ihren Füßen liegt. Nur wenige haben versucht, ihrer Macht zu widerstehen, und diese
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