Lebensbilder I (German Edition)
hineingelegt, auch mittelst der Stimme wiederzugeben, und ich glaube, eine nicht unbedeutende Virtuosität in Nachahmung der Affekte und Töne der Leidenschaft, wie überhaupt eine ziemliche Biegsamkeit des Organs zu besitzen.
Am Abend vorher las ich Paulinen meine Übersetzung vor. Mitten darin stürzte sie weinend mir in die Arme. »Liebster Herr Valenti,« rief sie schluchzend, »bei solchen Gedanken und Träumen müssen sie ja sehr unglücklich werden!« Ich umfing die Kleine, die sich gar nicht beruhigen wollte, zärtlich und nahm ihre Angst und ihr Weinen für ein gutes Omen. Mein einziger erster Leser war für mich gewonnen, mein ganzes vorhandenes Publikum lag weinend an meiner Brust.
Der entscheidende Abend brach an, wo ich, mit den Manuskripten in der Tasche, zaghafthoch gestimmt, in tausend Hoffnungen fürchtend, mich nach dem Faubourg St. Honoré begab. – Ich fand eine zahlreiche Gesellschaft von Herren und Damen. Rastignac hatte alles trefflich eingeleitet. Ich war der Gegenstand der gespanntesten Neugier, so sehr ich mich auch zu verbergen bemühte und in den Hintergrund mich zurückzog.
»Auf ein Wort« – flüsterte Rastignac mir zu und zog mich aus meinem Winkel in ein Nebengemach. – »Bis hierher habe ich dich gebracht;« – begann er ein wenig feierlich – »in einer kleinen Stunde, Freund! stehst du auf dem Punkt, wo du deiner Arbeiten Erstlingsfrüchte erntest. Für diese kurze Zeit noch tu mir die Liebe, zu befolgen, was ich dir anempfehlen werde. Dein erstes Erscheinen hier war von Erfolg. Man hat deine Gestalt, deine Mienen, dein ganzes Aussehen edel und geistreich gefunden und gelobt. – Dennoch, Raphael, wie konntest du heut eine weiße Weste anziehen? Schwarz, Freund! schwarz sei die Kleidung des Vorlesers, bis auf Halstuch, Chemisette und Manschetten, die in makelloser Weiße erscheinen müssen, denn des Lesers Mimik liege in Gesicht und Händen, alles andere trete in Nacht und Hintergrund zurück. Auch dein Halstuch sollte minder regelmäßig sitzen; durch kleine Nachlässigkeiten deutet der Dichter gleichsam an, daß er sich über die Gebräuche der Salons hinwegsetzt. Freilich ist es schwer, hier Maß zu halten und den richtigen Schwebepunkt zu treffen, auf dem vornehme Verachtung zwischen Befolgung und Nichtbefolgung sich erhält. Das allergeringste »Zuviel« ist verwerflich, weil es auf das Nichtvertrautsein mit diesen Gebräuchen könnte schließen lassen. Dies alles ist leider heut nicht mehr zu ändern, und du mußt nun in der weißen Weste und dem regelrechten Halstuche, wie sehr es auch dem guten Geschmack widerstrebt, vorlesen. Willst du nun ferner nicht aller guten Meinung, die ich von deinem Genie habe, entgegen handeln, so stelle dich, mir zuliebe, abseits, aber verstecke dich nicht, wie du bisher getan, sondern jeder muß in deiner Einsamkeit dich sehen können. Nimm eine gedankenvolle Miene an, hole stark Atem, aber ohne zu seufzen. Blicke etwas stier immer nach einem Punkte, das kleidet dich gut, weil du dunkle Augen hast, und ist außerdem echt poetisch. Zuweilen streiche dir auch die Locken aus der Stirn, aber nicht dich zu frisieren, sondern um die Wolken der Schwermut, die sich darüber gelegt, in weicher Resignation zu verjagen. Diese Bewegung muß überhaupt der Stirne mehr wie den Locken gelten. Tritt jemand zu dir, weichst du ihm aus, redet er dich an, erwiderst du kurz, zerstreut, unzusammenhängend, einsilbig. Ist es keine besonders vornehme Person, so laß sie drei-, viermal ihre Worte wiederholen, bevor du deine halbe Antwort gibst; ist sie vornehm, sprich mit bescheidenem Ernst, achte sie durch Bescheidenheit, dich selbst noch höher durch deinen Ernst. Das ist das einzig notwendige, unentbehrliche Benehmen eines jungen, obskuren Dichters, der die Aufmerksamkeit und Neugier rege machen muß. Zuvörderst stell' er selber sich, als ob er mit ganzer Seele an dem hänge, woran, wie er wünscht, alle andern ebenfalls mit ganzer Seele haften sollen! Wo nicht? – für Genie und Talent im Salon geb' ich noch keinen roten Pfifferling!«
»Freund, spare deine Worte!« erwiderte ich. »Du weißt nicht, wie mich ganz und gar erfüllt, was ich vorzutragen gedenke, und wie die Stimmung, die ich für die einzig notwendige halte, um Dichtern, wie den meinigen, nachzufühlen, im Widerspruch steht mit Geist, Wesen, Gesprächen, Konvenienzen, Tun und Treiben des Salons. Wenn nicht dieser Widerspruch von selbst mich zu einem zerstreuten und schüchternen Benehmen,
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