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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Ansprüche.«
    Sie setzte sich ans Klavier und sang, zu meiner Begleitung, auf Deutsch: »Namen nennen dich nicht!« und »Herz, mein Herz«. Besonders im letzten Liede ward das viel zu langsam genommene Tempo immer noch langsamer. Rastignac saß mit einer malerischen Physiognomie verloren im Horchen da. Sie schwieg, und Tränen perlten in ihren Augen.
    »Daß ich Goethe wäre!« sagte Rastignac. »Ich bin selbst auf die Empfindungen, die ein ferner Dichter in dir weckt, eifersüchtig. Süße Dorothea, warum bin ich kein Dichter? Aber ich will ein Dichter werden, ich muß ein Dichter werden, und sollte es mir auch nur wie jenem Kantor gehen, dessen Gedichte immer kürzer wurden, und die er sich doch um so teurer bezahlen ließ. Als man ihn nach der Ursach fragte, versicherte er: je kürzer die Gedichte wären, um so größerer Wert stecke darin, und nächstens würde er ein Gedicht von einem einzigen Worte machen, das unbezahlbar sein solle. Solch ein Gedicht, von einem einzigen Worte, habe ich gemacht, nur hatte ich immer noch keinen Mut, es niederzuschreiben.« – Die letzten Worte hatte er ausschließlich an mich gerichtet, so daß ich fragen mußte, wie sein Gedicht denn laute. – »Ich will es meiner Braut leise sagen,« fuhr er fort und flüsterte ihr ziemlich vernehmbar ins Ohr; »Dorothea!« Sie wandte sich lächelnd und gab ihm einen leisen Nackenstreich.
    Wir gingen zu Tische, das Mahl bestand aus einer Milchsuppe, Fischen, Gemüsen und Eiern und entsprach vollkommen der Umgebung.
    »Aber du ißt ja nichts?« fragte die Gräfin den Rastignac.
    »Wunderts dich? Bin ich nicht ein Bräutigam, schickt es sich für einen Liebenden, starken Hunger zu haben?«
    »Aber auch Sie, Herr Marquis, genießen so wenig! Freilich, unser frugales Mahl ist nicht nach Ihrem Sinne. Der böse Rastignac ist Ursach, der mich mit einem so seltenen Gaste dermaßen überraschte, daß mir keine Zeit blieb zur geziemenden Vorbereitung.«
    Eben wollte ich die Schuld auf das üppige Frühstück schieben, wozu mich Rastignac eingeladen. Aber der Unverschämte rief: »Schweig nur, mein Freund, wir wissen, daß auch du liebst und wen du liebst und für wen du, Trank und Speise verschmähend, seufzest. Vergib, ich war indiskret, aber ich bin nun einmal mit meiner holden Braut ein Herz und Seele. Nun denn, Feodora!« fuhr er fort und hob sein volles Glas.
    Ich wollte eben anklingen, als Dorothea unwillig fragte: »Wie? das kalte, seelenlose Geschöpf?« Ein einziger verächtlicher Blick strafte sie. Ich fühlte, wie Zorn glühend aus meinen Wangen strömte.
    »Vergib, Freund,« nahm Rastignac das Wort,»die Aufwallung eines guten Herzens; du bist freilich jetzt nicht gestimmt, dergleichen gern zu hören, und dennoch ist's die Stimme eines Engels, die so dich warnen muß. Oh« – fuhr er in gerührtem Tone fort – »wirst du denn nimmer begreifen, daß Liebe nicht in prächtigen Palästen heimisch ist, wo Ehrgeiz, Habsucht und Intrige weilen, daß sie sich nach einem stillen, abgeschiedenen Plätzchen sehnt, sich gänzlich selbst zu leben? Sieh uns beide!« Er ergriff Dorotheens Hand. »Eines ist dem andern alles, ja oft überrascht es uns, wie wir so ganz füreinander geschaffen sind. Oft fällt mir selber ein, was Dorothea soeben ausspricht, oft fühle ich, was ganz ihrer Brust entnommen scheint! Welche Augenblicke haben wir schon miteinander verlebt! Weißt du noch, Geliebte, vorgestern, wie wir in sternheller Nacht da saßen und du die Bemerkung machtest, daß es die Nachtwächter im Winter doch gut hätten: Worte, die du mir geradezu aus dem Munde nahmst? Wie wir da überein kamen, daß wir zwei gleiche, ganz füreinander geschaffene Hälften seien? Als mir da plötzlich beifiel (denn wer mag stets an solche Alltäglichkeiten denken), daß unser Vermögen nicht ganz gleich sei, worauf du erwidertest: du freutest dich, eine Probe von Uneigennützigkeit der Liebe ablegen zu können, worauf ich erwiderte: warum muß ich dir diese Probe schuldig bleiben, was doch sonst meine Sache nicht ist. Du entgegnetest: Neidischer! Ich: o deine Liebe ist in ihrer Überschwenglichkeit grausam. Dorothea weinte. – Und wem sage ich das? fuhr Rastignac noch weinerlich fort. Dem, der von solchem Glück nichts wissen will, der das Herz nicht anerkennt und nur phantastisch rasen kann und schwärmen. Ach Raphael! – nicht jeder ist der Liebe fähig, sie wohnt nur in fühlenden Herzen; du Unglückseliger liebst eine Bildsäule!« – Bei diesen Worten fing

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