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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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er wirklich und heftig an zu weinen, laut schluchzend erhob sich Dorothea und verließ das Gemach. Ich wußte nicht, ob ich mich über diese Unverschämtheit ärgern oder lachen sollte. Er trocknete seine Tränen und fuhr im weinerlichen Tone fort: »Habe ich dir nicht gesagt, meine Braut versteht sich trefflich auf Hydraulik, und ich habe auch bedeutende Fortschritte darin gemacht?«
    Nach einiger Zeit erschien die Gräfin mit rotgeweinten Augen wieder. Schweigend vollendeten wir das Mahl, während ich die traurigste Figur von uns dreien spielte. – Wie froh war ich, als Rastignac mit einem langanhaltenden Händedruck von seiner Braut endlich Abschied nahm und wir wieder das Tilbury bestiegen.
    »Und mit diesem albernen, geschmacklosen Geschöpf willst du dich auf ewig verbinden?« – fragte ich, als wir im Freien waren.
    »Respekt vor meiner Braut!« gebot er. »Ich dachte mir wohl, daß es so kommen würde, schon bei deinem Eintritt lag der auffallendste Mißmut in deinen Zügen, und sie hat mir zum Abschied zugeflüstert: ich sollte ihr den steinernen, vornehmtuenden Gast aus den Augen schaffen. – Übrigens hoffe ich, sehr glücklich mit ihr zu leben, und ich liebe sie in der Tat, mit der Liebe, deren ich fähig bin. Du bist viel zu sehr Enthusiast, um in der Hinsicht mich zu verstehen. Es geht mir wie so manchem, der sich frühzeitig allen Genüssen ergibt, ich kann nur verliebt sein, indem ich mir einbilde, ich sei es. Auch ihre Empfindungen sind keine wahrhaften, doch hat sie vor mir voraus, daß sie daran glaubt. Sie ist schön, etwas korpulent, und das gefällt mir; eine Deutsche, also zärtlich, sanft und naiv. Sie ist sehr weinerlich, und das rührt mich jedesmal, sie merkt nie, daß ich mich über sie lustig mache, und ich empfinde eben am tiefsten, wo ich mich über meine Empfindung lustig mache. Ernsthaft zu seufzen, ist mir nicht gegeben.«
    »Und dich erfreut eine Rolle, die dich einem Betrüger und Bösewicht nahe bringt?«
    »Sachte, Freund! Weise mir eine Bosheit, eine Schlechtigkeit im Leben nach! Ein so gutherziges Wesen wie ich hat das Privilegium, sich über Welt und Menschen lustig zu machen. Ich mag nicht leugnen, daß meine Grundsätze jesuitisch werden können, sobald man sie mißverstehen oder entstellen will, ich aber bin wenigstens kein Schelm aus Vorteil, Geistesstumpfheit oder verstocktem Herzen, sondern meines Temperaments und Blutes halber. Wäre meine Schelmerei strafbar, woher stehen denn die ganze Welt und alle Menschen im geheimen Einklang mit ihr? Diese Schelmerei ist der Scharfblick, der mich stets richtig leitet, vermöge dessen ich den Charakter, die Sitten, Pläne, Schwächen und Lächerlichkeiten eines jeden augenblicklich errate. Selbst die Freude an der leblosen Natur begründet sich auf diese Schelmerei. Man kann als Kind nur der Natur sich freuen. Sie ist keck, unüberlegt, zuversichtlich, wunderlich, mit einem Worte: ich begreife nicht, wie es möglich, sie erhaben und rührend zu finden. Das gehört aber in jene Zeit, wo man an Götter glaubte, nichts von der Chemie wußte und keine Maschinen hatte. Man nennt mich witzig, lustig, aufgeweckt, aber ich zweifle, ob ich's bin. Denn die Welt und die Menschen nur sind rings um mich her so übertrieben komisch, und jeder könnte dies, so gut wie ich, wahrnehmen, hätte er nur nicht so wichtige und ernste Geschäfte mit sich und andern. Wollte ich mein Talent zur Intrige benutzen, oh, was hätte aus mir schon werden können! Aber ich mache von nichts Profession, will mich keinem Zwecke, Plane oder Geschäfte widmen, sondern leben und müßig gehen, und manche achtbare Männer, unbeschadet ihrer Gewissenhaftigkeit, erlauben sich, um zu ihrem Amt oder Glück zu gelangen, mehr als meiner bequemen und sorglosen Lustigkeit je in den Sinn kommen wird. – In meinen Reden schildere ich mich oft schlechter als ich wirklich bin, denn wie sollte ich auch anders mit mir umgehen? Wenn ich aber gesagt habe, daß ich meine Dorothea ihres Geldes halber nehme, so habe ich mich selbst damit beleidigt, nicht meine Moralität, sondern meinen Geist, denn vermöge meiner Geschicklichkeit könnten sich wohl reichere Partien noch für mich finden. Muß man denn immer das Ideale lieben wie du? Streng genommen ist dies egoistisch, denn man liebt sich in seinen Idealen nur selbst, sucht sein Selbst in der ganzen Welt und klagt: es nicht zu finden! Such' dir dein Ideal, und dann besieh es dir genau! Ich nehme nun einmal mit dem Vorhandenen vorlieb,

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