Lebensbilder I (German Edition)
Theater, mir fehlt ein Begleiter, und ich rechne auf Ihre Gefälligkeit.«
Stumm verbeugte ich mich, aber ich glaube, das Entzücken leuchtete aus meinen Augen. Sie trat näher, und mit einer Miene voll unbeschreiblicher Huld fuhr sie fort:
»Ich meine es wahrlich nicht böse mit Ihnen, liebster Marquis, und daß ich Sie heut zum Begleiter wähle, geschieht nicht ganz ohne wohlmeinende Absicht. Ein neues Stück von Viktor Hugo wird gegeben. Sie sollen unter meiner Aufsicht von Anfang bis zu Ende es mit ansehen und daraus lernen, wie man angenehm, gefällig, liebenswürdig und interessant für jedermann dichtet. Sie böser, wilder Mensch! Mit Ihrer Fülle von Gefühl, Geist, Poesie und Begeisterung erschrecken, quälen, peinigen, foltern sie die Menschen. Hoffentlich wird Sie der heutige Abend lehren, wie man seine Gefühle und Gedanken gehörig breit treten und ausdehnen muß, um sie den Zuschauern mit aller Gemächlichkeit beizubringen. Ein einziges Ihrer Gefühle oder ein Gedanke, werden Sie einsehen lernen, reicht schon zu einer ganzen Tragödie hin. Ich muß mich wahrlich Ihres Talents annehmen, denn bei Ihrer jetzigen deutschen Überfülle verzehren sie Ihre poetische Kraft in einem einzigen Jahre, und sind im folgenden bankerott.«
Ich betrachtete verwunderungsvoll und entzückt die Reizende, wie sie schalkhaft verbindlich vor mir stand, halb als wolle sie entfliehen, halb als wolle sie hinsinken. Doch jede ihrer Bewegungen, und sie mochte annehmen, welche Stellung sie wollte, hatte diesen weichen, üppigen Reiz. Ein freundliches Lächeln, eine Bewegung der kleinen Hand und des runden, nackten Armes verabschiedeten mich. – Zum zweitenmal stieg ich die Treppe hinab und mit ganz verwandelten Gefühlen. – Sie liebte mich! Es konnte nicht anders sein, wie ganz hatte ich ihren anfänglichen beleidigenden Empfang mißverstanden!
Feodorens Erscheinen im Theater erregte wie immer Aufsehen. Mit einem einzigen Blick musterte sie das Haus, wie mich dünkte, um sogleich alle ihr gebührenden Huldigungen in Empfang zu nehmen. Dann neigte sie sich sogleich zu mir und sagte: »Die Frau v. F. – und die Vicomtesse G – sind auch hier!«
«Und Sie haben sie in diesem Augenblick schon erkannt?« fragte ich erstaunt.
»Sie richten ihre Gläser hierher« – fuhr sie fort, – »gehen wir zu Ihnen, die Loge dicht dabei ist noch unbesetzt.«
Wir verließen die Loge, sie reichte mir von neuem ihren schönen Arm, den ich ganz leise an mich drückte. Ich wäre so gern den ganzen Abend allein mit ihr in einer Loge geblieben, und dennoch freute es mich auch, an ihrer Seite mich in jener Gesellschaft zu zeigen.
Leise wurde die Tür zur leeren Loge geöffnet, und wir standen noch im Hintergrund, als wir Rastignacs Stimme vernahmen, der zu den in der Nebenloge anwesenden Herren und Damen folgendermaßen redete: »Ich schwöre es Ihnen, daß mein Freund ihr keineswegs den Hof macht. Wir haben diesen Mittag noch miteinander gespeist, und er erklärte mir mit der Kälte eines Advokaten oder Notars, der seinem Klienten ein Rechtsmittel oder einen Kontraktartikel definiert (denn er ist ein Jurist und hat bedeutende Kenntnisse und Geschicklichkeit in diesem Fache): daß, so wenig das Benehmen der Fürstin ihm auch eine Aufmunterung dazu gebe, er dennoch nicht unterlassen würde, ihre Bekanntschaft aufs eifrigste zu suchen.«
Ich war im Begriff, durch eine geräuschvolle Bewegung den Schwätzer auf unsere Gegenwart aufmerksam zu machen, allein Feodorens Ellbogen berührte meine Seite nicht ganz sanft.
Jener fuhr fort: »Diese junge Dame« – sagte der Marquis – »ist eine psychologische Merkwürdigkeit, ein weibliches Rätsel, ein interessantes physisches Phänomen. Fünfundzwanzig Jahre zählt die Fürstin.«
»O nicht doch«, unterbrach ihn die Vicomtesse, «sie zählt kaum zwanzig!«
»Aber ich muß nacherzählen, was mein Freund Valenti sagte. Ganz richtig, siebenundzwanzig Jahre zählt die Fürstin mindestens« – sagte er.
»Es kommt immer besser!« lachte die Vicomtesse.
»Auch ich widersprach ihm, da behauptete er aber: er sehe mit gleichgültigen Augen sie an und urteile sicher und unparteilich. Wer zu siebenundzwanzig Jahren nicht liebt, der liebt niemals, woher aber liebt Feodora nicht? Es gibt Blinde, Stumme, Taube! Ist sie eine Blinde, Stumme, Taube in der Liebe? Ist ein Desorganismus der Grund dieser unweiblichen Erscheinung? Oder hat sie etwa einmal unglücklich geliebt? Dann aber muß eine gewisse
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