Lebensbilder I (German Edition)
einiger Zeit.
»Nun, Freund! du bist eingeweiht?«
»In was?«
»In den großen Orden der Feodorenritter!«
Ich erzählte ihm, was vorgefallen und wie ich entschlossen sei, sie nicht wieder zu besuchen.
»Bei dem allen muß ich dich achten,« erwiderte er. »Es ist Konsequenz in dir, und das freut mich. Leute, die etwas Ganzes sind, gehören in einer Zeit wie die unsre zu der seltensten Sorte von Ausnahmen.«
Ich las in derselben Woche noch Goethes »Melusine« bei der Marschallin F .. Besonders der zweite Teil gefiel als ungemein anziehend und artig. Rastignac überhäufte mich mit Lobsprüchen über mein jetziges Benehmen. »Diese Manier der Gleichgültigkeit«, sagte er. »diese Miene des Allesgehenlassens charakterisiert vollkommen den Mann von Welt und Geist.« Einen ungleich edleren Erfolg sollte ich indes bald darauf erleben. Ich hatte ein Lustspiel geschrieben, ganz darauf berechnet, mein Vorlesertalent ins höchste Licht zu stellen, dies trug ich zur großen Zufriedenheit meiner Hörer vor. Auch einem Buchhändler wußte mich Rastignac zu empfehlen, der dieses Manuskript für 1000 Franken an sich kaufte. – Den ersten Gebrauch, den ich von all dem gewonnenen Gelde machte, war der, Madame Gaudins Lieblingswunsch zu erfüllen und Paulinen in die Erziehungsanstalt von St. Denis zu bringen. Ich zahlte für sie das erste Semester voraus und sagte beiden: eine vornehme Dame meiner Bekanntschaft bestritte auf meine Empfehlung die Kosten aus einem dazu ausgesetzten Legat. Es ging der KIeinen nahe, sich von der Mutter, mir, dem Hause, der Straße, von allem Gewohnten zu trennen. Sie hätte mich gerührt, wäre ich eines Gefühls für Wirklichkeit noch fähig gewesen. Aber so geht's! Hat uns das Leben die garstige Kehrseite zugewendet, haben wir uns in den zauberischen Bereich der Poesie hingeflüchtet, so sind wir nur illusorischer Eindrücke fähig. – Allmählich fing ich an, mich wieder behaglich zu fühlen. Meine Arbeiten trösteten mich, gewährten mir reichen Lebensunterhalt, machten mich angesehen in der Welt, die sich gern gefallen ließ, von mir sich unterhalten zu lassen, zumal da ich sonst keine weiteren Ansprüche machte. Inzwischen war der Frühling angebrochen. Rastignac, dessen freundschaftliche Hilfe ich schon entbehren konnte, besuchte mich seltener, und Feodora hielt ich für vergessen.
Da lief eines Morgens ein Brief ein, der mich nach ihrem Hotel beschied und die Versicherung enthielt, daß ich einen wichtigen Dienst ihr leisten könne. Ich weiß wohl, ich hätte lieber alle Vorwände, Entschuldigungen und Ausflüchte ersinnen und erlügen sollen als hingehen. Ich hätte geradezu erklären müssen: »Fürstin, ich liebe Sie, und weil Sie selbst es wünschten, bleibe ich fort.« – Mit welchem Rechte durfte ich mich für den Besseren halten, worauf gründete ich mein Recht, sie verachten zu dürfen, wenn ich außerstande war, meine Leidenschaft zu ihr zu bekämpfen? Aber es war meine erste und unglückliche Liebe, eine doppelte Allmacht! Und der Trost, den mir bisher mein künstlerisches Streben gewährt, ward mir mit einemmal zu einer elenden Selbstgenügsamkeit. Ich dürstete wieder nach der Welt, wollte in verliebtem Leid, in Freuden mich berauschen. Und ich verrechnete mich nur in meinem Herzen, es war nicht gestählt genug zur Bosheit.
Ich ward ungemein freundlich empfangen!
»Mein Wagen ist angespannt, haben Sie Lust, mich nach dem Jardin des Plantes zu begleiten?« fragte sie, mit ihrer eigentümlich reizenden Mimik sich zu mir neigend.
Ich bejahte. Wir stiegen ein, langten an und durchirrten schweigend Arm in Arm die frischbegrünten Laubgänge.
»Ich habe eine Bitte an Sie«, begann Feodora und faßte flehend und fest mich ins Auge.
»Reden Sie!«
Wir gingen einige Schritte, dann begann sie leise und seufzend: »Eine Angelegenheit, die mein Vermögen, vielleicht auch(sie machte eine lange Pause) meine Ehre betrifft, bewegt mich, bei einer hohen Person in Rußland Gerechtigkeit zu suchen. Die Protektion des Herzogs von N – kann mir sehr nützlich sein. Er ist Ihr Vetter.«
»Was ich vermag, soll geschehen.«
»Wie gütig Sie sind!« sprach sie, zärtlich mich anblickend; dann wandte sie sich wieder.
Schweigend gingen wir eine ganze Weile nebeneinander her, da hörte ich sie seufzen, sah Tränen von ihren Wimpern tröpfeln, und ich fragte besorgt: »Was fehlt Ihnen, Feodora?«
Sie stand still und weinte bitterlich. »Raphael!« begann sie feierlich und bewegt, »ich bin
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