Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
geführt. Es waren Individuen jener Pariser Neugier, die sich ausschließlich mit dem: warum? wieso? woher? wer sind sie? was haben sie? was tun sie? beschäftigt.
    Nie hatte sich ein lockenderer und zugleich undankbarerer Gegenstand diesen Gehelmnisspürern dargeboten als die Familie Lanty. Niemand wußte, aus welchem Lande sie herstammte, noch was sie trieb, oder welchem Straßen-, Seeraub oder welchen Erbschaften sie ihr ungeheures Vermögen verdankte, das mindestens auf einige Millionen anzuschlagen war. Alle Glieder dieser Familie sprachen Französisch, Italienisch, Spanisch. Englisch, Deutsch mit einer Geläufigkeit, als hätten sie in all den Ländern wenigstens jahrelang gelebt.
    »Und wären sie aus der Sippschaft des Teufels, man sieht sich bei ihnen gut aufgenommen!« meinte ein junger Politikus.
    »Und wenn's auch Juden sind,« meinte ein Philosoph, »ich setze mich über das Vorurteil hinweg und heirate Mademoiselle de Lanty!«
    Wer aber hätte die reiche, schöne Marianina, die einzige Tochter, die reiche Erbin, nicht gern geheiratet, die so allerliebst singen, wie eine Malibran trillern, wie eine Sontag flöten und den Ton wie eine Fodor hallen lassen konnte? Freilich war sie nur eine Taschenausgabe aller dieser Sängerinnen, und ihre Stimme paßte nur fürs Zimmer. Aber sie hatte Schule trotz allen dreien, und die Kunststücke, die sie allen nachahmte, sind auch eigentlich Zimmerkunststücke; die großen Hallen neuerer Opernhäuser müssen so kleiner Kunst sich schämen. – In welcher Schule aber hatte sie singen gelernt? – man sah ja keinen Lehrer ein- und ausgehen. Doch dies war das mindeste, was die Wißbegierigen kümmerte. Ein ganz anderer und völlig unergründlicher Gegenstand hatte die Frechheit, sich mitten in Paris zu zeigen: mitten in Paris, wo die Leute zu wissen begehren: wo man seinen Wandleuchter kauft, wie hoch man in der Miete steht, und wieviel Pfund Rindfleisch man zu seiner Bouillon verbraucht. – Die seltsamsten, abenteuerlichsten und spaßhaftesten Märchen entstanden über diese Rätselerscheinung, und doch war es kein Vampyr, kein Kobold, kein Faust, kein Samiel, oder was sonst noch die große Pariser Welt von den kleinsten deutschen Schriftstellern aufgeschnappt. – Es war nichts als ein simpler Greis.
    Einige der hauptstädtischen oder Kapitaljünglinge, gewohnt, beim Frühstück das Schicksal Europas zu entscheiden, hatten schon ausgesagt: es sei ein vornehmer Verbrecher, der sich mit seinen Reichtümern hier den Händen der Gerechtigkeit entzogen. – Einige Romantiker erzählten auch schon seine Abenteuer mit bewundernswürdiger Genauigkeit und berichteten insbesondere die unerhörten Grausamkeiten, die er als Fürst von Mysore begangen hatte. Die Bankiers, in allem schon viel reeller als die Romantlker, sagten: »Pah!« und zuckten die breiten Achseln. »Es ist ein genuesischer Kopf!«
    »Mein Herr! wenn es erlaubt ist, zu fragen, was ist ein genuesischer Kopf?«
    »Sehen Sie, mein Herr! ein genuesischer Kopf ist ein Mensch, an dessen Leben ungeheure Kapitalien hängen und an dessen Wohlsein der Reichtum der Familie sich knüpft, woher die Lantys auch diesen Alten wie ihren Augapfel lieben.«
    Letzteres zeigte sich in der Tat, sooft der Greis erschien, was sehr selten geschah. – Ein Magnetiseur endlich bewies durch sehr weitläufige urkundliche Tatsachen: daß dieser gleichsam unter Glas von der Familie Lanty bewahrte Alte niemand anders sei als Joseph Balsamo, genannt Cagliostro. Er hatte den Stein der Weisen gefunden, um dem Tode zu trotzen und zum Vergnügen seiner Kinder und Kindeskinder Gold zu machen.
    »Da! da ist er!«
    Man ruhte eben vom Tanze und schlürfte Eis, Sorbet, Punsch in allen Ecken. Die schöne Marianina war ans Klavier getreten und hatte, umlauscht von einem aufmerksamen Kranz galanter Herren, Rossinis göttliche Cavatine aus dem »Tankred« mit ihrem süßen Slimmlein begonnen, als jener unheimliche Spuk sich auf der Schwelle zeigte.
    »Mich friert seit einigen Augenblicken!« sprach eine Dame nahe bei der Tür. Der Greis entfernte sich – sie atmete auf. »Gott sei Dank, nun ist mir wieder wohl! Sie halten mich vielleicht für abergläubisch, wenn ich Ihnen versichere, daß jener feingekleidete alte Herr Kälte verbreitet.« – Ihr Nachbar wunderte sich.
    Das Erscheinen des Alten erregte indes immer große Bewegung in der Familie, gleichwie ein hochwichtiges Ereignis. – Herr und Madame de Lanty, Marianina und ein alter Diener, der mit

Weitere Kostenlose Bücher