Lebensbilder I (German Edition)
ihnen gekommen, schienen allein bevorrechtet, den Unbekannten zu unterstützen, wenn er gehen, sich erheben oder niederlassen wollte. Sie alle bewachten mit zärtlicher Aufmerksamkeit seine Bewegungen. Der Geheimnisvolle trug einen schwarzen Frack und schwarzseidene Beinkleider, die wie ein eingerafftes Segel um die fleischlosen Lenden herumschlotterten. Eine weiße goldgestickte Weste, nach altertümlichem Schnitte, hing drüber. Sein Chemisett war glänzend weiß und mit englischen Spitzen verziert. Ein großer Diamant von unermeßlichem Werte funkelte drauf. Sein Antlitz war voller Winkel und Zacken. Das Kinn stand weit hervor, die Schläfen waren gänzlich eingefallen. Die Kinnbackenknochen lagen fast bloß und waren beständig in einer Art pulsierender Bewegung, die Haut war ungewöhnlich stark und dicht gerunzelt, in den Vertiefungen kreisförmig wie ein Wasserstrudel und sternartig auf den hervorstrebenden Knochen. Was aber seinen Anblick besonders grauenhaft machte, war die dick aufgetragene rote und weiße Schminke und die große, hellblonde Perücke mit dicken, langen, weit über den gekrümmten Rücken hinwallenden Locken. Auch trug er lange goldne Ohrgehänge, seine Knochenfinger waren über und über mit kostbaren Ringen besteckt und reiche Steine blitzten dran. Eine lange goldene Kette umschlang mehrmals seinen Hals und verlief sich zu beiden Seiten in die Uhrtaschen, an welcher ebenfalls äußerst kostbare Gehänge blitzten. – Wie ein Blödsinniger, seiner Loge im Irrenhause entsprungen, stand er da, man fürchtete, seine zarten, feinen Knochen würden unter ihm zusammenbrechen. Er starrte mit leblosen Augen vor sich hin und schien nichts von allem zu gewahren. Madame de Lanty war herbeigeeilt, um ihm behilflich zu sein, sich zu setzen, oder vielmehr sie setzte ihn, wie man eine Puppe setzt, der man Glied für Glied biegen muß.
Der Zufall fügte, daß eine sehr schöne junge Dame, vielleicht die schönste des Festes, den Stuhl dicht neben dem alten inne hatte. Seine dünnen Beinchen streiften ihr Gazekleid und dessen Blumenbesatz. Er wandte seine matten, in tiefen, gelben Ringen verlornen Augen auf sie und starrte im bewußtlos stummen Eigensinn, wie es dem wieder kindisch gewordenen Alter eigen zu sein pflegt, unausgesetzt sie an.
Seine Nachbarin, eine herrliche Blondine, blühte in fast kindlicher Frische noch. Ihre glänzende Haut schien einem feurigen Blicke wie klares Eis durchdringlich. – Sie trug Arme, Hals und die halbe Brust entblößt, ihre Augen strahlten von Feuer. Ihre Locken wallten in besonderer Schwere, ihr Atem wehte balsamisch, alles an ihr war Lebensblüte, weibliche Anmut und Fülle. – Ich hatte eben erst Leben und Tod im seltsamen Kontrast wahrgenommen – hier wiederholte sich dasselbe.
Ich setzte mich zu der Schönen. Sie ergriff ängstlich meine Hand.
»Ich fürchte mich« – flüsterte sie mir zu – »vor jenem Gespenst. Unausgesetzt starrt es mich an, mit toten Fischaugen. Sehen Sie nur, sein Mund kaut immerfort und lächelt so dumm dazu. Es ist kein Mensch, ein garstiger Automat!«
»Reden Sie lauter, er hört nicht!«
»So kennen Sie ihn?«
»Ja!«
Sie blickte von neuem nach ihm.
»O Gott, spüren Sie nicht den Grabesduft?«
Sie preßte meinen Arm an sich, als wolle sie meines Schutzes sicher sein. In der Tat verbreitete der Alte einen wundersamen Bisamgeruch, wie etwa wenn ein Kleiderinventarium einer alten, längst verstorbenen Herzogin geöffnet wird. – Ängstlich atmete meine Nachbarin.
»Ich bleibe nicht, mir ist's, als säße der Tod neben wir!«
Ich reichte ihr meinen Arm, sie erhob sich, doch ihr Gazekleid hatte sich an die goldene Knieschnalle des Alten festgehakt. Mit einer Bewegung des Entsetzens stieß sie sein Knie fort. – Ein gläserner Schrei entschlüpfte der ausgetrockneten Kehle des Grauenhaften, und sogleich folgte eine Art Kinderhusten, von ganz besonders hellem Klang. Herr und Madame de Lanty eilten auf ihn zu, Marianina brach mitten in einer Roulade ab und kam herbei. Aller Augen ruhten auf uns. Die Schöne wünschte sich fern auf eine Südseeinsel, sie klammerte sich fest an meinen Arm und zog mich fort, überall wich man uns aus, und wir gelangten endlich in ein kleines, zirkelförmiges Kabinett, das noch unbesetzt war. Hier warf sie sich in eine Ottomane und klagte und weinte beinah.
»Was ist Ihnen so Entsetzliches denn begegnet?« begann ich.
»Kann ich dafür«, entgegnete sie weinerlich, »daß die Lantys Gespenster in
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