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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Grimasse.
    »Nastignac, darf man dem Argwohn unumschränkten Spielraum gestatten, darf Klugheit sich anmaßen, das Allerheiligste der Menschenseele durchdringen zu wollen?«
    »Mit Unterschied, bei Menschen deiner Art, nein, bei Menschen ihrer Art. ja!«
    «So gibt es auch Menschen, die nur die Personifikation ihrer eigenen Umstände sind, und Intrige und Diplomatie sind ihr ganzes Geistesvermögen. Sie fühlen sich nur als das, was sie in den Augen anderer gelten, sind klein im Glück, weil ihre Umgebung ihnen von selbst alle Ehrfurcht erweist, im Unglück groß; sie müssen das Mitgefühl aller Welt erregen, deren Augen auf sie gerichtet sind.«
    «Bravo! Bravissimo! und daher waren Ludwig XVI. und Maria Antoinette wie Märtyrer groß auf dem Schafott. Armer Freund! welch Unglück hat dich zu diesen Wahrheiten geführt?«
    »Still, still, ich weiß genug! Du siehst, wir verstehen uns, dringe nicht weiter in mich, schone meiner!«
    Er hatte mich kaum verlassen, als ich zu Feodora eilte. Ich fand sie allein.
    »Was führtSie zu mir, doch keine schlimme Nachricht?«
    «Keine!«
    »Also eine gute?«
    «Ich sage, keine.«
    »Ich muß Ihnen nur den Mund öffnen!« sie küßte mich. »Nun, bezahlenSie mir den Kuß mit einer guten Neuigkeit.«
    »Feodora! Ich komme. Sie zu fragen – ob Sie mich lieben? Sagen Sie ja oder nein!«
    «Raphael!«
    »Um Gotteswillen: Ja oder nein!«
    «Muß ich meinethalben nicht wünschen. Sie nicht zu lieben?«
    »So liebst du mich, Feodora, weil du wünschest, mich nicht zu lieben; würdest du auch mich küssen, würdest du, so ganz Hingebung, in meinen Armen ruhen, wenn du mich nicht liebtest?«
    Plötzlich riß sie sich zornig aus meinen Armen, entfloh ins Nebenzimmer und verriegelte die Tür. Trotz meines Bittens, Drlngens, Flehens ward mir nicht geöffnet. – Mit Schlangenklugheit wich Feodora auch ferner meiner Glut und jeder Erklärung aus, wenn schon ihre Zärtlichkeit, ihre Hingebung stets dieselbe blieb. Da erschien der Tag. wo meine letzten Arbeiten geendet waren. Ich wußte, daß Zeit, Mühe und Arbeit verloren, mein kleines Vermögen war ebenfalls schon in der ersten Zeit durch die bedeutenden Kosten ihres Prozesses draufgegangen. Ich mußte einmal sogar sie um Vorschüsse bitten, sie reichte sie mir mit mißtrauischen Blicken, als fragte sie: Bist auch du nicht so reich, wie ich glaubte? Und bald gesellte sich das Gefühl drückender Not zu meiner rettungslosen Verzweiflung.
    Ich mag nicht ferner schildern, wie von nun an ihr Benehmen sich gegen mich änderte, meine Feder empört sich dawider, zu verraten, wie ich um ihre unentbehrlich gewordenen Gunstbezeigungen mich bemühte, mich erniedrlgte, und welche elenden Kleinigkeiten allmählich mich zu der längst zuvor geahnten Verzweiflung brachten. Nur so viel genüge, ein Kurier überbrachte mir eines Morgens die glückliche Entscheidung. Es war mein Todesurteil, und ich selbst überbrachte es zur Vollziehung.
    Mit marmorkalten Mienen stand ich vor ihr. Die Freude eines Raubtiers leuchtete aus den Augen, womit sie las. Triumphierend stand sie da, gleichsam ausdrückend: jetzt bin ich, was ich sein muß! Auf ihren uneigennützigen Retter fiel lein Blick.
    Da begann ich, zerrissen von trostloser Selbstanklage: »O Feodora! Es gibt zweierlei Elend. Das eine geht in Lumpen unverschämt durch die Straßen, ahmt unbewußt dem zynischen Phiolosophen in der Tonne nach, den es nicht kennt, lebt von nichts und ist damit glücklich, glücklicher als der Reiche, sorgloser mindestens. Es nimmt das Leben da auf, wo der Reiche es nicht mehr begehrt. Das andere Elend weiß ich mit Namen nicht zu nennen. Es ist ein spanisches Elend, verbirgt seine Bettelhaftigkelt hinter Titel, ist stolz, befiedert, elegant. Ersteres ist das gemeine Elend, das andere das der Könige, der Großen, der Glücksritter und des Talents. Ich gehöre nicht zur Hefe des Volkes, auch nicht zu den Königen, den Großen und am wenigsten zu den Glücksrittern. Wenn ich daher nicht ganz und gar eine Ausnahme bin, so darf ich sagen: ich habe mein Talent, meine Zeit, mein Vermögen Ihnen geopfert. Erinnern Sie sich, Madame, als Sie vorige Woche mit mir zum Gymnase dramatique fuhren? – Der Wagen kostete meine ganze Barschaft. Der Kommissionär, der mit dem Schirm sie in den Wagen geleitete, weil Regen fiel, erhielt von mir zur Antwort: mein Freund, ich habe kein klein Geld! – ich hatte nichts.«
    Sie, ohne auf meine Bitterkeit zu achten, fragte: »Aber warum sagen Sie mir

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