Lebensbilder I (German Edition)
vielleicht das Näschen darüber rümpfen und ›pfui‹ sagen. Aber was ich Ihnen vortragen werde, ist wahr, hat sich in Rom ereignet und wird noch heutigentags dort öfter nacherzählt. Sie wünschen Aufschluß über die rätselhaften Erscheinungen von gestern, und Sie erhalten obenein eine Lehre in den Kauf, die ich wohl zu benutzen bitte.«
»Zur Sache, wenn's beliebt!«
»Ich gehorche! Meine Erzählung oder Novelle heißt ›Zambinella‹.
Ein junger Maler war seit vierzehn Tagen in Rom. Madame! können Sie fassen, was es heißt, erst vierzehn Tage in Rom sein, wo die schönsten, edelsten Menschenträume leben und weben, der Traum einer Weltherrschaft in stolzen Ruinen verwittert, und ein ähnlicher Traum in fanatischer Pracht hin und wieder noch von lebenden Menschen aufgeführt wird? – Wir, Madame! wenn wir die Louvregalerie durchirren, fühlen uns ermattet und betäubt, und wir betrachten die Kunst nur mit konventionellen Salonblicken, unser Herz, unsere Wünsche haben nichts damit gemein! Anders ist es mit dem Künstler, dem das Unsterbliche in jeder Kunstvollkommenheit entgegentritt, und der mit Wünschen, Herz und Seele daran hängt und in gedankenvoller, erhabener Lebensglut seine Existenz daransetzt. Das ehrliche, bescheidene Talent, darf es in Rom nicht verloren sich wähnen ? rettungslos untergegangen im Meere der Unsterblichkeit? Was hofft man noch zu leisten nach den Berufenen, Auserwählten, die geboren, gebildet und erstanden sind in dem malerischen, kunstbegeisterten Jahrhundert? – Dem jungen Künstler, von dem ich rede, erging es noch trauriger. Er glaubte wahrzunehmen, sein Enthusiasmus sei nur Kunstfeuerwerk, seine Originalität prahlerische Grillenhaftigkeit und sein Beruf eine traditionelle Einbildung, aus dem Leben großer Meister entlehnt. Er galt in seiner Jugend für ein Wunderkind, man hatte früh schon die Kinderstirne mit männlichen Lorbeeren geschmückt, und seine Sucht, Aufsehen, Bewunderung, Erstaunen zu erregen, hatte die Unmittelbarkeit der Empfindung, die natürliche Ehrlichkeit der Kunst in ihm erstickt. Weder seine Werke, noch sein Ruhm genügten ihm mehr. Er fing an, sich sehr unglücklich zu fühlen, und sowohl um seiner innern Trübseligkeit zu entfliehen, als auch um sich für irgendeine neue Schöpfung zu exaltieren – ein Aberglaube vieler geistreichen Männer – begann er ein wüstes, schwelgerisches Leben. Er war schön und blond, das letztere lieben die Italienerinnen zum Rasendwerden. Es fehlte ihm daher nicht an Liebeshändeln, die er anknüpfte, abbrach oder fortsetzte, ganz wie seine geniale Laune es ihm eingab.
Einst ging er an dem Theater Argentina vorüber, vor welchem ein großes Gedränge stattfand. Er erkundigte sich nach der Ursache desselben und erhielt nur zur Antwort: ›Zambinella – Jomelli‹. Auch er nahm sich ein Parterrebillett und traf es noch ziemlich gut, denn obschon zwischen zwei korpulenten Abbates eingeengt, saß er doch nahe dem Proszenium. Die Symphonie begann, er hörte zum erstenmal die Tonschöpfungen Jomellis, und weil sie alle Welt entzückten, fühlte er sich mit entzückt. Der Vorhang rollte auf, die ersten Szenen gingen vorüber, da erhob sich ein Beifallklatschen, als solle das Haus bersten. Er war ganz Aufmerksamkeit, und jede Faser lauschte. Die Primadonna trat auf, schritt in den Vordergrund und grüßte das Publikum mit ausnehmender Zierlichkeit. Das blendende Bühnenlicht, die szenische Illusion, vor allem aber der Enthusiasmus eines ganzen Volkes, die Künste einer damaligen Toilette – zu ihrer Zeit verführerisch genug – alles dies beschwor das herangewachsene Wunderkind, sich für die holde Sängerin zu begeistern. Er sah einen ausdrucksvollen Mund, Augen, aus denen Liebe leuchtete, eine blendend weiße Haut, kurz alles, was ein Maler wünscht, und ward nicht müde, die Zierlichkeit jeder Bewegung, die herrliche Rundung ihres Halses, das harmonische Muskelspiel der Arme, die zarte Wölbung der Brust, das vollkommene Oval des Antlitzes, die feine Nase, die Reinheit der Züge, die wundersam gewölbten Brauen, die wollüstig langen Wimpern und mehr noch das zarte, weibliche Ebenmaß, das ihre Reize alle vereinte, zu bewundern. Es ist eine Göttin, eine Gestalt, erhaben über alle Kritikasterei, ich male sie! so dachte er. – Wenn sie sang, herrschte Totenstille, wenn sie schwieg, erhob sich rasender Beifallsruf, und er hätte auf die Bühne springen mögen, das Original seines zeitgemäßen, allen Wünschen
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