Lebensbilder I (German Edition)
Trost. »Ich bin auch heut wieder die Schönste der Welthauptstadt!« durfte sie sich sagen. – Aber auch dieser Trost sollte ihr entführt werden.
Aus dem Orchester rauschten die Schlußakkorde der Ouvertüre zum zweiten Akt. Der Vorhang hob sich wieder. Da öffnete sich leise die Tür zu Raphaels Loge. Staunen, Murmeln, Geflüster verbreitete sich im Parterre. Das ganze Meer von Menschenköpfen wandte sich zur Loge und schoß Blicke der Neugier und des Staunens hinein. Die Damen in den Rängen bewaffneten sich mit ihren Lorgnetten, die alten Herren wischten mit Handschuhen die angelaufenen Brillengläser rein. »Welch ein Engel!« flüsterte der dicke Bankier, der jenes schwelgerische Nachtmahl gegeben, in einer Nebenloge und drehte der Szene den Rücken zu, um ganz Auge für die neue Erscheinung zu sein. Aquilina, in einer Parterreloge, winkte Raphael zu, sich umzusehen, und Rastignac, gebannt an seine schwäbische Gräfin, zerdrehte verzweiflungsvoll seine Handschuhe: weil er höchstens einen verstohlenen Blick auf die reizende Fremde wagen durfte. Nur der Besitzer des Elendsfelles saß mißmutig da und verstimmt. »So viel Lärm und Aufsehen um ein Weib!« dachte er und war fest entschlossen, als nächster Nachbar, sie keines Blickes zu würdigen.
Die Schöne hinter seinem Rücken schickte sich an, neben ihm Platz zu nehmen. Er drängte sich ganz in den Winkel nach der Bühne zu, bog sich weit über die Brüstung und starrte nach der Szene. Aber die ungesehene Schöne machte sich hinter ihm noch viel zu schaffen. Er fühlte ihren Atem durch seine Locken streifen, geheimnisvoll rauschten ihre Gewänder und schienen die seinigen zu berühren. Er empfand schon die belebende Wärme ihres Körpers, ward immer verdrießlicher, zorniger – da flüsterte es mit Silberstimme: »Sind Sie es denn wirklich, Herr Raphael?«
Er mußte sich umsehen und erschrak. Pauline, zur Jungfrau gereift und ausgebildet, schwebte wie ein Engel über ihm und lächelte mit reizend milden Wangengrübchen auf ihn hernieder.
»Pauline!« rief er und sprang auf, und seine nächsten Worte waren: »Wie hold, wie wunderschön sind Sie in so kurzer Zeit herangewachsen!«
»Auch Sie scheinen mir verändert!« antwortete sie, »und doch trübt Ihr Anblick ein wenig die unverhoffte Wiedersehensfreude. Sind Sie glücklich, Herr Raphael?«
»Bei Gott, jetzt bin ich's! – doch in der vorigen Minute war ich's nicht!« fügte er schwermütig hinzu.
»Hinweg den düstern Blick!« sprach sie in holder, rücksichtsloser Hingebung. »Sagen Sie noch einmal, jetzt bin ich's, damit ich daheim der Mutter erzähle: Herr Raphael lebt, ist reich, ist glücklich, ich habe ihn gesehen, gesprochen, der gute Gott hat unsere Gebete für sein Wohl erhört.«
»Pauline!« begann Raphael gerührt, »ich bin glücklich, weil ich Sie wiedersehe.«
»So auch ich,« entgegnete sie herzlich und heiter. »Doch meines Bleibens ist hier nicht,« fuhr sie lebhaft fort, »mein schlichter Anzug unter all den hochgeputzten Damen fällt gar zu sehr auf.«
Sie errötete bei diesen Worten über die Unwahrheit, wie über die Wahrheit, die sie enthielten. Auch Raphael verwünschte die neugierigen und spähenden Blicke, welche unbeweglich auf beiden ruhten.
»Haben Sie einen Wagen?« fragte er.
»Mein Fiaker ist erst um halb elf Uhr bestellt.«
»Darf ich Ihnen den meinen anbieten?«
»Ich nehme es mit Dank an.«
Sie erhob sich. Raphael reichte ihr den Schal und öffnete die Logentür.
»Sie bemühen sich um mich?« fragte sie hold und anspruchslos.
»Wollen Sie dies Recht mir streitig machen?«
Als er schweigend sie durch die Galerie führte und ihre Hand leicht in seinem Arm ruhte, war ihm so wohl, so wehe, er mußte sie öfter anblicken, gleich als wolle er fragen: »Gewiß bist du auch der Engel, der du scheinst.« Sie lächelte leise und schlug errötend die Augen nieder.
Ein Kommissionär schaffte den Wagen herbei. Pauline wunderte sich keineswegs über dessen Pracht. Die Diener schlugen den Tritt nieder und standen gewärtig ihres ersten Schrittes, um sie in den Wagen zu heben; aber Raphael wies sie zurück, um selbst den Dienst ihr zu verrichten. – Sie bestieg die erste Stufe, wandte sich dann zu ihm zurück und fragte bittend: »Auf Ihren Besuch dürfen wir wohl nicht mehr rechnen?«
«Ich komme morgen, morgen um elf!«
»Darf ich glauben, was ein so vornehmer, reicher Mann mir verspricht?«
»Pauline!«
»Nein! Sie wissen, welche innige Teilnahme Sie uns
Weitere Kostenlose Bücher