Lebensbilder I (German Edition)
diesen, um sie in seine Gewalt zu bringen, sogar ein Verbrechen begehen läßt. Auch der tragische Schluß, der sich dem Gefüge eines »komischen« Romans wohl nur schlecht anpaßt, muß als verfehlt, wenn auch dichterisch schön gelten. Unglaubhaft ist er nicht: Die seelischen Erregungen der letzten Zeit haben Mariamne so angegriffen, daß sie, die durch Hunger und Mißhandlungen ohnehin sehr geschwächt ist, bei der Exorzisierung von einem Nervenschlag getroffen wird und daran stirbt.
Aus der Erzählung Schiffs spricht der ungebändigte Haß gegen das Judentum; ihm scheint es nicht wie Heine (vgl. Alfred Meißners »Erinnerungen«, Seite 148) ebenso lächerlich wie ehrwürdig zu sein, sondern er findet es bloß lächerlich und erbärmlich. Die Gestalt des gepeinigten Judenmädchens soll tiefste Rührung, aber auch Erbitterung über einen Fanatismus erwecken, der es noch für Glaubenstreue hält, wenn er zur höheren Ehre Gottes martert und mordet. Es soll nur Schiffs Objektivität (im Hassen) beweisen, wenn er auch Schattenseiten des Christentums herausfindet und lächerlich macht (die Bestattung Mariamnes als einer Art Heiligen usw.). Ernstlich kam es ihm nur darauf an, den Schäden des jüdischen Klerikalismus heftig und wirkungsvoll zu Leibe zu gehen [Fußnote: Der Roman erschien unter dem charakteristischen Pseudonym Isaak Bernays . Isaak Bernays war orthodoxer Rabbiner in Hamburg (vgl. »Schröders Lexikon der Hamburgischen Schriftsteller«, II. 233 ff.) und Schiff beabsichtigte wohl mit der Wahl dieses Decknamens gerade in den Kreisen, die er so unsanft angriff, erhöhtes Interesse zu finden. Bruchstücke aus dem Roman erschienen im »Freimütigen« (1848, Nr. 40–46) und im »Freischütz«. Über das Werk vgl. »Blätter für literarische Unterhaltung« (1848, Nr. 207). ] .
So vortrefflich die Tendenz und der satirische Ton des Verfassers ist, so wenig kann sein Vortrag befriedigen. Wieder macht sich der Hang Schiffs, Binnenerzählungen einzuschieben, unliebsam bemerkbar. Dabei ist er so skrupellos, von ihm bereits veröffentlichte jüdische Geschichten einzuflechten, wie zum Beispiel aus »Hundert und ein Sabbath« das Märchen vom »Rabbi Chanina« (allerdings in etwas veränderter Form). Von der größten Bedeutung ist die Vorrede des Romans, in der Schiff seine Absichten genau darlegt. Er schreibt an seinen Verleger:
»In der deutschen Literatur gibt es noch wenig komische Romane und in dieser Art vielleicht noch keinen; er ist kein satirisch-, kein fantastisch-, kein sentimental-, kein humoristisch-komischer Roman, sondern ganz einfach ein komischer Roman. Dieses Buch entspringt aus dem einzigen Spaß, der alle Situationen herbeiführt. Daß eine jüdische Rabbinerstochter als Mutter Gottes auf einem Hochaltar einer Kathedrale gemalt ist, bringt Katholiken und Juden in Harnisch.
Die Gegenwart hat mir den Stoff nahegebracht. Wir haben jetzt einen Neu-Katholizismus, einen Neu-Protestantismus. einen Neu-Israelitismus. Jeder hadert mit seiner Religion und die Gegenwart mit allen Religionen insgesamt. Ein Dichter lernt von seiner Zeit. Ursprünglich liebt er alle Religionen, jede hat ihre Merkwürdigkeiten, sinnreichen Mythen, und der Dichter kann sich keinen würdigeren Stoff wünschen als diesen. Aber zwei Religionen sind etwas anderes als eine, und zwei Religionen auf einmal anzunehmen, ist unmöglich. Zwei Religionen sind zwei Auguren, die sich nicht ansehen können, ohne sich auszulachen. Und deshalb kann ein Dichter aus zwei Religionen einen komischen Roman machen. Ernst läßt sich dieses Thema nicht behandeln. Wenn sich bei Calderon zwei Religionen begegnen, ergreift er für eine Partei. Lessing macht aus drei Religionen eine. Denn er ist Kosmopolit und will aufklären. Allerdings kann diese Versöhnung Lessings nur dauern, bis der Vorhang fällt. Diese eine Familie wird nie einen Hausstand bilden können – eine polnische Wirtschaft ist unausbleiblich. Nach meiner Ansicht schwindet sofort alles Würdige und Edle, wenn sich zwei Religionen im Geiste des schaffenden Dichters begegnen.« Schiff entwirft dann eine fiktive Charakteristik seines schriftstellerischen Lebens. Als Sohn blutarmer Leute mußte er Bittbriefe schreiben, man ließ ihn studieren, aber nirgends fand sich für ihn ein Amt, und deshalb wurde er Schriftsteller. Er will aber nur die «Sympathien und Antipathien der niederen Klassen« zur Sprache bringen. Er will ein literarischer Plebejer sein. »Die deutsche Literatur hat seit
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