Lebensbilder I (German Edition)
achtzehn Jahren nur in großen Worten geschwelgt, ohne etwas geleistet zu haben. Sie gleicht dem Zeitgeiste, der nicht demokratisch ist, obwohl er als solcher gerühmt wird. Er ist ein Geldgeist, ein Kaufmannsgeist, ein Rechengeist, ein Judengeist, der uns das Brot abknappt und uns unsere Weiber mißgönnt. Die deutsche Literatur hat sich durch siebzehn Jahre nur nach den Bedürfnissen der Reichen gerichtet, sie hat ihnen Pikantes serviert, weil Pikantes von ihr verlangt wurde. Der Reiche hat alles und kann alles bezahlen, der Arme hat nichts. Will er einmal für sein geringes Geld etwas genießen, so ist es ihm unmöglich; nicht einmal ins Theater kann er gehen. Nur eine Kunst kann sich des Armen annehmen: die des Dichters. Das Buch hat für alle denselben Preis.« Man hatte den Fürsten literarisch lange genug geschmeichelt, nun möge man einmal dem Volke schmeicheln. Man möge die Feinde des Volkes verhöhnen und nichts vom deutschen Michel erzählen, keine sentimentalen Dorfgeschichten, keine Polizeinovellen, keine Geheimnisse von Paris, übertriebene Schilderungen von Lastern (was er aber selbst sehr oft getan hat). Nicht dem Zeitgeiste, sondern dem deutschen Volksgeiste möge man huldigen, das sei der einzige wahre, ewige Gott, der Gott seiner Väter. Im Namen des Volkes und für das Volk will er die Willkür des Genies, seinen Übermut des Talentes rechtfertigen gegen seine Mitliteraten. Seine Devise ist: Es lebe der deutsche Geist.
Aus dieser Vorrede sprechen starke demokratische Anschauungen, die Schiff voll erbitterter Wut und Wucht vorträgt. Zweierlei mag dies veranlaßt haben: Die Zeitstimmung, in der »Schief-Levinche« entstand (die Revolution des Jahres 1848) und die Mißachtung, über die er sich gerade jetzt zu beklagen hatte. Die Volkserhebungen im »tollen Jahre« machten aus ihm einen begeisterten Demokraten. Er beabsichtigte damals die Abfassung einer Reihe von Flugschriften unter dem gemeinsamen Titel »Die Ehrentaten der Bluse oder die Revolutionen des Jahres 1848«, wovon jetzt nur das erste Heft »Die französische Revolution« (mit vier lithographierten Bildern, Hamburg 1849) erschien. Die Begeisterung für die achtundvierziger Revolution muß wundernehmen, denn gerade sie war der Anlaß, daß »Schief-Levinche« vollkommen spurlos vorüberging. So war es Schiff ja immer ergangen: jedem seiner bedeutenderen Werke (Agnes Bernauer, Gevatter Tod, Hundertundein Sabbath) wurde durch ein unvorhergesehenes äußeres Ereignis jedes Interesse geraubt. Wegen des Hamburger Brandes unterblieb die Fortsetzung von »Hundert und ein Sabbath«, und ebenso schrieb Schiff niemals den angekündigten zweiten Teil des »Schief-Levinche«, wovon der Titel lauten sollte: »Schlemiehligkeiten Löbel Kurzweils, des Missionärs«. Man darf es bedauern, daß dieses Buch niemals erschien (vielleicht war es verfaßt worden, und den Verleger hielt nur der geschäftliche Mißerfolg »Schief-Levinches« von der Drucklegung ab) und daß Schiff niemals mehr einen so echten, treffenden und wirkungsvollen Judenroman schrieb wie »Schief-Levinche«.
Es ist Heines Verdienst, auf das Buch, nachdem es drei Jahre hindurch völlig unbeachtet geblieben war, mit größtem Nachdruck hingewiesen zu haben. Zwar wollte ihm die erbarmungslose Kritik, die Schiff an den Fehlern des fanatisierten Judentums übt, nicht ganz gefallen, doch veröffentlichte er über das Buch ein herzliches Lob:
»Dieser dumme Kerl ist ein wahres Genie! Er hat mehr plastische Darstellungsgabe als alle neueren Poeten zusammen, die jetzt in Deutschland leben. Es ist kaum zu begreifen, daß er so wenig Anerkennung gefunden hat. Sein Buch ist tiefsinnig, voll sprudelnden Witzes, wahrhaft künstlerisch, und was die Hauptsache ist – es hat das Verdienst, mich unendlich amüsiert zu haben. Schiff hat jedoch die Schmutzseite des jüdischen Lebens zu grell beleuchtet. Hinter dem Schmutze der gemeinsten Schacherjuden aber ist sehr oft Edelsinn und Großmut verborgen. Sie verstecken diese Glanzseite oft absichtlich – wie sie in den Zeiten des Druckes ihren Reichtum hinter dem Scheine der Dürftigkeit vor den Augen der Habsucht zu sichern wußten.«
Mit dieser warmen Empfehlung Heines, die in allen, selbst den kleinsten deutschen Zeltungen erschien, war die Verstimmung zwischen ihm und Schiff geschwunden; sie nahmen schriftlich den Verkehr wieder auf, Heine gedachte in den Briefen an Campe sehr oft seines Jugendfreundes (vgl. u. a. Brief vom 29. September und 8.
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