Lebensbilder I (German Edition)
spezifische, wenn dieses Vaterland auch nur eine Vaterstadt ist.
Nun glaubst du nicht, lieber Heine, was ein aus Hamburg verwiesener Hamburger bei diesem Konflikt des doppelten deutschen Patriotismus zu leiden hat. Ich bin ja nicht bloß der Obrigkeit meines engeren Vaterlandes meinen treuen Untertanengehorsam schuldig, sondern auch allen Obrigkeiten meines größeren, des gesamten deutschen Vaterlandes. Auf Befehl der Obrigkeit meines engeren deutschen Vaterlandes verlasse ich Hamburg mit aller Rührung, allen Dankgefühlen, mit der man aus solch einer von sechsundzwanzig Herren vortrefflich regierten Stadt scheidet. Und mit dem Stolz eines Deutschen, der noch einige dreißig andere Herren hat, betrete ich mein größeres und Gesamtvaterland, Altona. Dort wird mir befohlen, umzukehren und der Obrigkeit meines engeren Vaterlandes ungehorsam zu sein, hier wird mir befohlen, in mein größeres Vaterland zurückzukehren, um irgendeiner meiner vielen Obrigkeiten Gehorsam zu leisten. Kann man das von einem Deutschen verlangen?
Und ach! Hier in diesem Zimmer sitze und schreibe ich, ohne polizeiliche Erlaubnis dazu zu haben. Unter einem unlegitimen Obdach begebe ich mich nachts zu Ruhe, in ein unlegitimes Bette lege ich mich schlafen. Und ach! wie greift es meine Loyalität an, wenn ich Miete zahle. Dieses Sündengeld, womit ich mir Ungehorsam gegen meine Obrigkeiten erlaube! – Richard III. ist ein Knicker. – Ein einziges Königreich für ein Pferd! – Fünfunddreißig Bundesstaaten für eine Quadratelle deutschen Bodens, wo ein gewissenhafter Deutscher sich hinstellen kann, um sich auf dem Boden des Rechtes und Gesetzes zu erhalten.
Schon aus diesen Zeilen kannst du ersehen, welch ein Lokalschriftsteller aus mir geworden ist. Die Luftschlösser sind noch aus der früheren Periode. Bei der jetzigen trübseligen Jahreszeit und dem unwirtbaren geschichtlichen Boden ist fast nichts anderes als Luftschlösser zu haben.
Die sogenannte große deutsche Zeit, was hat sie anderes hervorgebracht als Luftschlösser?
Selbst das unbedeutende Portugal hatte seine große Zeit, die freilich auch nur sehr kurz war und spurlos dahinschwand, wie die große deutsche Zeit. Aber es hatte doch einen Dichter, der die Helden- und Kriegstaten seiner Völker besang.
Ich schildere nur Luftschlösser und Friedenstaten. Ich bin kein Camoens, und das ist ein Glück.
Wenn ich die schleswig-holsteinischen Feldherren, die deutschen Grundrechte, den Gothaer Mittelmäßigkeitsverein, die deutsche Flotte, die Helden des passiven Widerstandes und der friedlichen Demonstrationen besingen sollte, es würde eine schreckliche Lustade werden.«
So heiter wie hier Schiff seine Ausweisung 1854 schilderte, war sie nicht. Da er sich dem Senatsdekrete nicht fügte, wurde er am 12. April 1852 verhaftet, weil er sich unberechtigt in Hamburg aufhielt. In einem Bericht an Sr. Hochweisheit Herrn Senator Meier , Dr. p. t., Patrono der Vorstadt St. Pauli, heißt es, »daß Schiff (51 Jahre alt), der von hier verwiesen ist, in der Gegend des Aktien-Theaters verhaftet wurde. Er wollte seine Wohnung nicht angeben, um die Leute, bei denen er sich heimlich aufhielt, nicht in Verlegenheit zu bringen.« Entscheidung: Verbot an den Arrestaten, sich wieder in Stadt und Geblet betreten zu lassen, welcher versprach, mit I.F. Richter vor dem Altonaer Magistrate zu erscheinen. Daraufhin wurde er mit Richter entlassen. Inzwischen war nämlich ein Brief Richters bei der Hamburger Polizei eingelaufen, worin er schrieb, daß er von Schiffs Verhaftung gehört und für ihn in Altona eine Kaution von 1500 Mark Bco. deponiert habe, welche ihm nicht früher ausbezahlt würde, bevor Schiff nicht in Altona verhört werden könne. Er bat, Schiff, den er seit vier Wochen vergeblich gesucht habe, zur Anhörung eines ihn betreffenden Erkenntnisses an den Magistrat zu Altona auszuliefern. Das geschah: Richter erhielt die deponierte Kaution zurück, und Schiff wurde in Altona entlassen.
Aber die Gefahr der Ausweisung und Verhaftung drohte ihm auch weiterhin, immer unter dem Vorwande, daß er unberechtigt eine Ausländerin geheiratet habe. Auf diese war der Hamburger Senat ebenfalls schlecht zu sprechen, zumal sie einen wenig einwandfreien Lebenswandel führte und ihren außerehelich geborenen Kindern immer wieder die Heimatsberechtigung in Schiffs Vaterstadt sichern wollte. Darüber erhob sich ein langwieriger Aktenwechsel zwischen dem sächsischen Ministerium des Äußeren und dem Hamburger
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