Lebensbilder I (German Edition)
Produktion waren die Jahre aufreibenden Kampfes mit den Hamburger Behörden begreiflicherweise von größtem Nachteil. Er gab im Dezember 1854 ein kurzlebiges Blatt »Der freie Hamburger« heraus, plante die Gründung einer »Romantischen oder Norddeutschen Volksbibliothek«, die aber nicht von ihm, sondern von Otto Koch ins Leben gerufen wurde, und schrieb gelegentlich Novellen, die, da ihm damals alle Zeitungen verschlossen waren, nur in Buchform an die Öffentlichkeit traten. Von Bedeutung ist in mancher Hinsicht die 1855 bei Hoffmann und Campe erschienene Tanznovelle »Die Waise von Tamaris«.
Sie enthält vier deutlich erkennbare Motive. Ihr Beginn verfällt ganz in den Ton und Stil Balzacs, von dem sich Schiff eigentlich niemals recht frei machen konnte. Ein Souper, das einer berühmten Tänzerin gegeben wird, vereinigt ein paar Kavaliere in einem vornehmen Hotel. Die Schilderungen stehen gänzlich unter dem Einflusse Balzacs, die betonte Hervorhebung von Einzelheiten in der Beschreibung der Schönheit der Tänzerin, ihres Kostüms und ihrer Erscheinung ist nichts anderes als eine Nachbildung der Manier des Franzosen. Das zweite Motiv stammt aus »Schief-Levinche«: Ein armes Bauernmädchen aus der Provence steht einem berühmten Maler Modell für ein Altarbild. Es wird gegen den Willen seiner Pflegeeltern Tänzerin und bringt es darin zur höchsten Vollendung. Damit hängt das dritte Motiv zusammen: Eingehende Ballettschilderungen, die bis ins Kleinste und Feinste ausgeführt sind. Schiff schildert mit der minutiösesten Genauigkeit die Art des modernen Ballettanzes. Aus dieser Novelle geht mit unwiderleglicher Deutlichkeit hervor, daß er selbst auf diesem Gebiete tätig gewesen sein müsse. Denn soviel genaueste Fachkenntnis kann nur jemand aufbringen, der selbst seine Balletterlebnisse hinter sich hat. Schiff gibt die eindringlichsten Schilderungen von der Art verschiedener Tänzerinnen, ihre Rollen aufzufassen und durchzuführen, beschreibt ausführlich die Effekte, die sie beim Tanzen erzielen, und klagt über die immer mehr verfallende Kunst des Charaktertanzes. Viertens aber, und das ist der Hauptpunkt in der Novelle, schildert er eine fiktive Aufführung des Faustballetts von Heine . Zu diesem Zweck scheint die Novelle auch geschrieben zu sein, und vielleicht ist sie im Auftrage Campes verfaßt worden, um Bühnen zu animieren, das ursprünglich für den englischen Direktor Lumley verfaßte Ballett auf einer deutschen Bühne zur Darstellung zu bringen. Schiff erweist sich als vortrefflicher Regisseur, der wirklich geschickt die Schwierigkeiten, die sich dem technisch kaum zu bewältigenden Problem der Inszenierung von Heines Buch entgegenstellen, bewältigt. Er feiert in begeisterten Worten Heines Tanzgedicht als den Höhepunkt aller Ballettkunst: nur dieses Werk sei geeignet, dieses darniederliegende Kunstgebiet zu reformieren und ihm neues Leben einzuhauchen. Das gibt der übrigens auch sonst lebendig und frisch geschriebenen Novelle, in der vielleicht nur die allzu breit ausgemalten Ballettbeschreibungen ein wenig stören, weil sie den Fluß der Darstellung zu sehr unterbrechen, ihre besondere Bedeutung. Denn damit ist die Erzählung ein Freundschaftsdokument seltenster Art, aus dem Schiffs warmes Eintreten für den Genossen seiner Jugend und ein Werk von diesem, das sich nicht selbst Boden bereiten konnte, spricht.
Was in der »Waise von Tamaris« an rein novellistischen Vorgängen vorhanden ist, mutet weniger erfreulich an. Die Rivalität zweier Tänzerinnen und die Parteiungen, die sie in einem Duodezhauptstädtchen hervorrufen, sind ein stark abgebrauchtes Motiv. Nur daß Schiff es, wie es nun einmal in seiner Natur lag, nicht zum Guten wendet, sondern tragisch ausgehen laßt, indem die eine Tänzerin (die uneheliche Tochter eines reichen englischen Lords, der zu ihren Gunsten sogar die Regierung der Stadt, wo sie engagiert ist, mobilisiert) nach einer unvergleichlichen Kraftanstrengung auf der Bühne eines erschütternden Todes stirbt. Diesen tragischen Schluß verträgt die Geschichte nicht, die sich in einem so heiteren Milieu, wie es das des Balletts ist, abspielt. Aber als Tendenzwerk, das warm für den damals noch immer als gefährlich geltenden Heine eintritt, tut sie ihre volle Wirkung. –
»Zwei Novellen«, die 1856 im Hamburger Verlagskontor erschienen, sind Zugeständnisse an den Zeitgeschmack, der an Kurtisanenromanen Gefallen fand. In Wien und in Hamburg war damals dieselbe Mode
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