Lebensbilder I (German Edition)
nicht in solcher Umgebung gelassen werden, wo ein Aufrichten, ein neues geistiges Schaffen zur Unmöglichkeit wird. Der Schriftsteller im Werk- und Armenhaus, der nur an sich selbst fehlerhaft handelte, gereicht uns keineswegs zum Lobe. Es leben genug Personen unter uns, die Schiffs treffliche Novellen mit Vergnügen gelesen haben; ist ihnen der Verfasser nicht wert, daß sie ihn aus der auf ihm lastenden Schmach erlösen und den sich reich belohnenden Versuch anstellen, ihn der bürgerlichen Gesellschaft zurückzugeben? Er darf nur einmal im Monat ausgehen, wie muß seine Seele verkümmern inmitten von dem, was er sieht und hört? Welch schöne Anstalten hat England! Wie sorgen die Franzosen, die Dänen für ihre begabten Landeskinder! Schiff hat nur zum Trunke gegriffen, sich in seiner Not zu betäuben, sein Ehrgefühl abzustumpfen, weil er mit all seinem Wissen ein Bettler sein muß. Tätigkeit unter streng sittlichem Regime kann ihn retten. Und man läßt ihn im Werk- und Armenhause! Mich befiel eine mit Unwillen gepaarte Wehmut, als ich den auf der Universität graduierten Hamburger Mann in Holzpantoffeln mir entgegenkommen sah. Seine Bratsche hat er wieder, freilich, aber wo läßt er ihre Saiten erbeben? Die klagenden Töne sollten durch die Mauern der Zuchtanstalt dringen, zu den Ohren derjenigen, welche ihm helfen könnten und es nicht der Mühe wert finden, ihm zu helfen. Vielleicht spräche die jammernde Melodie an ihr Herz, da es nicht gerührt wird durch das, was Schiff geleistet hat, durch seine Bildung und seinen Jammer.
»Freischütz« Nr. 58: Infolge der neuesten Schicksale des Dr. Hermann Schiff hat sich das Publikum wie gewöhnlich wieder mehr den Werken des Autors als ihm selbst zugewendet. Wir machen daher auf seine neuesten Produktionen, die im vorigen Jahre im Verlagskontor erschienenen Novellen »Ballkleid und Demantschmuck« und »Redlichkeit und Schwindel« aufmerksam. Schiff beschäftigt sich darin mit der Demimonde der deutschen Handelsstädte, die er zum Hintergrunde seiner Erzählung wählte. In beiden Erzählungen werden eine Anzahl früherer Hamburgischer Persönlichkeiten mit Geschick in die Szene gesetzt. Die Schilderung ist in beiden Novellen dramatisch, lebendig und spannend. Die Charaktere sind anschaulich und scharf gezeichnet, die Situationen größtenteils ursprünglich ungesucht. Die Novellen bilden indes keine Lektüre für junge Mädchen; sie atmen eine gewisse Frivolität, welche schon welterfahrenere Gemüter und verwöhntere Gaumen voraussetzt.
»Freischütz«. 7. Juli, Nr. 81: Dr. Schiff wird seinen Aufenthalt im Werk- und Armenhause demnächst mit einem angenehmeren Asyle vertauschen. Durch eifrige Bemühungen und reichlich gespendete Geldbeträge mehrerer hiesiger Einwohner ist eine Summe aufgebracht worden, welche hinreichend ist, dem Schriftsteller, welchem in Neumünster ein Domizil ausgewirkt wurde, eine sorgenfreie Existenz zu bieten. – –
Eine erschütternde Schilderung aus dieser Lebensperiode Schiffs entwirft Hebbel in einem Brief an Christine (Briefe, VI, 24). Er lernte Schiff am 1. Mai 1857 (also während er noch im Armenhause wohnte) in Campes Laden kennen. Schiff wollte ihm nicht die Hand geben, weil er kein freier Mann sei, sondern zu den Leuten gehöre, die auf dem Stadthause ihre Konforten suchen. (Vgl. auch Varnhagens Tagebücher XIII, 347.)
Von allen Seiten war man bemüht, Schiff jetzt emporzuhelfen: zwar konnte der deutsche Schriftstellerverein wegen seiner beschränkten Mittel nur zehn Taler spenden, aber der Redakteur der Leipziger »Modenzeitung«, Diezmann , erbot sich brieflich, eine Novelle Schiffs abzudrucken, und auch die Redakteure anderer Blätter erinnerten sich wieder des Vergessenen. Namentlich Richter nahm sich Schiffs wirksam an; er machte ihm seine »Reform« neuerdings zugänglich, der Schiff nun durch drei Jahre Beiträge lieferte. Seine wirksamste Hilfe erhielt Schiff nach der Gründung der deutschen Schillerstiftung, die ihn seit 1862 unterstützte (vgl. Goehler, »Die deutsche Schlllerstiftung«, I, 82), weshalb sie aber in den Zeitungen angegriffen wurde (Goehler, I, 118). Auch Heines Verwandte sollen über seinen noch auf dem Totenbette ausgesprochenen Wunsch Schiff unterstützt haben. Am wichtigsten für ihn wurde es aber, daß er nunmehr freies Feld für die Veröffentlichung seiner literarischen Arbeiten hatte. Zu seinen Gunsten erschien 1858 ein von Friedrich Wilibald Wulff herausgegebenes »Novellenbukett«, in dem
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