Lebensbilder I (German Edition)
im Schwange; Eduard Breier und Hermann Schiff waren dort und hier auf diesem Gebiete tätig. Diese Vorliebe für das Dirnenmilieu erklärt sich aus der Zeitströmung; man war leichtlebig geworden, huldigte sinnlichen Vergnügungen und wollte deshalb auch in der Literatur den Lebensgenuß dargestellt sehen.
Für verhüllte Erotik hatte Schiff immer seine Vorliebe. Ein leiser Zug von Sinnlichkeit durchzieht die meisten seiner Werke; er kokettiert aber immer nur mit der Darstellung der Lüsternheit, ohne sie deutlich zu Worte kommen zu lassen. Das erregt den Eindruck der Kälte. Schiff hat nicht den Mut, die Situationen – gewiß nicht breit auszumalen, was ja immer unkünstlerisch ist – aber sie leuchtend und zündend zu gestalten. Und immer ist das Laster bei ihm verschämt. Der Typ »Kameliendame« begegnet immer wieder. Gutherzig sind sie alle, die gefallenen Mädchen, die nicht innerer Notwendigkeit gehorchend Kurtisanen wurden, sondern gegen ihren Willen sanken. Und ein rechtes Stück Edelmut haben sie sich auch bewahrt. In einer dieser »Zwei Novellen« »Ballkleid und Demantschmuck« und in einer zehn Jahre später veröffentlichten »Das koschere Haus« finden sich beinahe dieselben Situationen und Gestalten, und merkwürdigerweise sind es immer Juden, die die Mädchen zu Falle bringen, denen diese aber gewaltig imponieren. In beiden Geschichten sind es Bankierhäuser, deren Geschicke von den gefallenen Mädchen beeinflußt werden. Schiff hält mit seiner Ansicht darüber nicht hinter dem Berge. Er verargt es den Juden, daß sie zu den Christinnen emporblicken, daß der Neuisraelitismus sie auf eine schiefe Bahn geführt hat, wobei sie ihr besseres Selbst verloren und in abenteuernde Gesellschaften gerieten. »Das koschere Haus« enthält übrigens in seiner Grundlage eine wirksame Satire. Es ist ein Tempel, nachdem es früher ein Tanzlokal zweifelhaftester Art gewesen war, in dem Dirnen mit Lebemännern Orgien feierten. Auch sonst ist dieses Werk Schiffs von funkelnder Satire erfüllt, namentlich über die Tugendschwärmerei der Judenknaben zu Beginn der zwanziger Jahre macht er sich lustig. Sie sind alle keusch, tragen langes, gescheiteltes Haar und den Hals entblößt, einen altdeutschen Rock mit gesticktem, übergeschlagenem Hemdkragen, und ihre Hauptbeschäftigung ist das Turnen. Damals galt es für schimpflich, der Sinnenlust zu frönen; die Kraft gehörte nur dem Vaterlande.
Ausgezeichnet sind die jüdischen Bankierstypen, wie sie Heine kaum besser gezeichnet hat. Gumpelino kehrt im »koscheren Haus« und »Ballkleid und Demantschmuck« wieder. Diese Juden sind gefräßig, sinnlich, ungeniert; sogar vor ihren Frauen und Kindern verfolgen sie die Christenmädchen. Ihnen opfern sie gerne viel Geld. Der Vater des Helden Emanuel im »koscheren Haus« freut sich sogar, daß sein Sohn mit einer Kurtisane eine Nacht verbrachte, statt ihm deswegen Vorwürfe zu machen. Ein feiner Zug ist es, wie der alte Arzt des Hauses alles ins Geleise bringt: er meint, daß der junge Mann lange genug keusch gewesen sei, heiraten dürfe er das gefallene Mädchen nicht, aber zu seiner Geliebten dürfe er es machen und reich aushalten. Wie der Jüngling dem Mädchen, das ihm nicht angehören will, weil es seine Eltern achtet, einen ausfälligen Brief schreibt und es gemein beschimpft, das ist von Schiff gut motiviert. Es ist der Aufschrei eines jungen Menschen, in dem zum ersten Male die Sinnlichkeit erwacht ist.
Technisch ist »Das koschere Haus« wiederum durch Binnenerzählungen verunstaltet. Zwei Jugendfreunde treffen sich nach vielen Jahren, und der eine erzählt dem anderen die Geschichte des koscheren Hauses, in dem er als junger Mensch bittere Liebeserfahrungen sammeln mußte.
»Redlichkeit und Schwindel«, in den »Zwei Novellen«, ist eine Kolportagegeschichte schlimmster Art. Ein verschuldeter Graf, der einen verbrecherischen Spießgesellen hat, rettet einem Hamburger Bankier und seiner Frau, deren Pferde sie in einen Abgrund zu werfen drohten, das Leben und wird dafür von ihnen finanziell gerettet, wobei sich die Frau, in die sich der Graf verliebt hat, als tugendhaft erweist. Horchen, scheuende Pferde usw. sind die Requisiten, die der Verfasser gebraucht, um diese Geschichte, die zu Schiffs schlimmsten Streichen gehört, zu inszenieren. Sehr wichtige Ausführungen über die »Gesinnungspoesie«, über den mangelnden Mut der Deutschen zu Taten, während sie sich nur an Worten berauschen, machen nebst
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