Lebensbilder I (German Edition)
Ausfällen auf die Übersetzungsliteratur und die Leihbibliothekenromane, deren schlimmsten einen er freilich selbst gerade in »Redlichkeit und Schwindel« verfaßthat, den geringen Wert des Romans aus.
Wegen solcher künstlerisch verfehlten Produkte aus dieser Zeit darf man mit Schiff nicht hart rechten; denn er war in drückendster Notlage, die allmählich so arg wurde, daß er sich zu einem Schritte entschließen mußte, der wohl zu den erbarmungswürdigsten seines entsagungsreichen Lebens gehört. Anfangs 1857 ließ er sich nämlich in das Hamburger »Werks- und Armenhaus« aufnehmen, wo er nahezu fünf Monate verbleiben mußte. Das vielsagende Protokoll über diesen verzweifelten Schritt lautet:
Auszug
aus dem »Aufnahme-Register
des
Hamburgischen Werk- und Armenhauses«
Band: M I 1853/1865
Nr. 397
Aufnahme: 19. Februar
Datum: 1857
Name: Schiff , David Hermann, lebt getrennt von: Louise Amalie geb. Leutholdt, Schauspielerin, gegenwärtig engagiert in Bremerhaven
Eltern: Tot. Hertz Bendix Schiff, Manufakturwarenhändler en gros, Ester, geb. Oppenheim
Alter: 57 Jahre
Geburtsort: Hamburg
Wohnort oder Schlafstelle: Johannisbollwerk Nr. 29 bei Gastwirt Baumgarten
Gewerbe: Dr. phil. und Schriftsteller
Ursache der Aufnahme: Verarmt
Datum der Entlassung: 8. Juli 1857
Behörde, welche den Hospitant zugesandt: Polizei ( vide Poliz.-Buch. pag. 237)
Religion: Geborener Jude, später: lutherisch getauft
Bemerkungen b. d. Aufnahme: Nicht in Totenladen [Fußnote: d. h. nicht in einer Leichenversicherung. ]
Bemerkungen b. d. Entlassung: Entlassen mit Genehmigung der Polizei
Eines Kommentars bedarf dieses Dokument des Elends nicht. Interessant ist, wie sich die Öffentlichkeit diesem Ereignisse gegenüber verhielt. Die Berichte des Hamburger »Freischütz« orientieren darüber.
Nachricht vom 17. Februar 1857 (Nr. 21): Ein hiesiger Schriftsteller, welcher in der Literaturgeschichte einen achtenswerten Namen besitzt, hat sich dem Vernehmen nach wegen momentaner gänzlicher Mittel- und Obdachlosigkeit genötigt gesehen, um die Aufnahme in eine milde Stiftung anzusuchen, und soll man an betreffender Stelle auch geneigt sein, diesem Verlangen zu entsprechen. Es ist höchlichst zu bedauern, daß eine mit seltenem Talente begabte Persönlichkeit durch die Verhältnisse bis zu einem solchen Schritte heruntergedrückt ist.
Nachricht vom 10. März: Herr Dr. Hermann Schiff, welcher, wie wir bereits vor längerer Zeit berichteten, um Aufnahme in das Werk- und Armenhaus nachgesucht, hat daselbst wirklich seinen Aufenthalt genommen.
Nachricht vom 24. März (Nr. 36): Dr. Schiffs Aufenthalt im »Werk- und Armenhaus« ist mit großer Schnelligkeit in alle deutschen Zeitungen übergegangen und hat überall eine unangenehme Sensation hervorgerufen. Die Augsburger Allgemeine Zeitung widmet dem bedauernswerten Schriftsteller bei dieser Gelegenheit einen längeren Artikel, der mit den beherzigenswerten Worten schließt: »Vielleicht dienen diese Zeilen dazu, auf diesen beachtenswerten Fall die Augen jener Männer hinzulenken, die gegenwärtig an der Spitze der Schillerstiftung oder des Leipziger Schriftstellervereins stehen, falls dieser noch existiert. Im Interesse der Literatur ganz Deutschlands wäre zu wünschen, daß hier von jenen Vereinen etwas geschähe, um einen Mann von Geist nicht am geistigen Hungertod sterben zu lassen, in einem Haus, das ihn zwar gegen Wind und Wetter schützt, ihm aber nicht diejenige Speise geben kann, die ein begabter, wissenschaftlich gebildeter Mann, ein produzierendes Talent zu beanspruchen das Recht hat.« Die Schriftstellerstiftung zählt auch in Hamburg ihre Vertreter, denen es leicht werden müßte, eine Summe aufzubringen, um Schiff in ein Hospital einzukaufen.
»Ein Besuch im Werk- und Armenhaus bei Herrn Dr. Schiff« (»Freischütz« 1857, Nr. 54). Am Sonntag und Mittwoch ist es erlaubt, einen Inwohner des Werk- und Armenhauses zu besuchen. Ich fühlte mich in der Seele des unglücklichen Schriftstellers gedemütigt, als ich den Raum betrat, in welchem er sich befand. Er hat kein eigenes Zimmer, sondern muß es mit zwanzig Personen teilen, worunter einige krank sind. Mag der geistvolle Mann durch verkehrte Lebensweise sein Herabkommen veranlaßt haben – diese sich selbst auferlegte Strafe ist zu hart. Daß er in seiner Buße ohne Hilfe gelassen wird, kann nur in Deutschland geschehen. In Hamburg, dem wohltätigen, gesinnungstüchtigen Hamburg, sollte auch ein versunkenes Talent
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