Lebensbilder I (German Edition)
Gegensätze zu ihr steht die schauerliche Geschichte »Der gespenstische Rabbi«. («Nordstern«, 1860, Nr. 58ff.) Hier hat Schiff Erinnerungen aus seiner Jenenser Studentenzeit geschickt verwertet. Der Novelle liegen nach einer Anmerkung historische Vorgänge zugrunde: Ein Verbrecher Gieraff wurde 1826 in Gotha hingerichtet, dem es Wollust bereitete, zwischen seinen Händen das Todeszucken kleiner Mädchen und das Herabrieseln des Blutes zu spüren. Bei Schiff handelt es sich um folgendes: Er führt einen verwachsenen jüdischen Studenten, Klein Zaches genannt, vor, der der aus Hoffmanns Märchen bekannten Figur gleicht. Er ist der Sohn eines Rabbiners aus Andernach, der mit einem berühmten Anatomen, als dieser noch Kind war, täglich Schach spielte. Der kleine Christenknabe war dem alten Juden bei weitem überlegen; sie spielten stets des Nachts in der Wohnung des Knaben zusammen, wobei den Rabbiner einmal plötzlich infolge der Aufregung der Schlag traf. Seit dieser Zeit quält den Knaben und späteren Professor die Erscheinung des häßlichen Rabbi. Er nimmt aber dessen ebenso häßlichen Sohn als seinen Famulus auf. Das ist der gute Teil der Novelle. Die hineinverwobene Geschichte von dem Lustmord, dessen Täter der Professor entdeckt (nachdem er selbst im Verdacht war, für die Anatomie die Kinder morden zu lassen, um ihre Leichen zu sezieren), ist grauenhaft und unangenehm. Im zweiten Teil des »Gespenstischen Rabbi« veruneinigen sich der Professor und des Rabbi Sohn, und nun erschreckt letzterer in der Tracht seines Vaters (ähnlich sieht er ihm ohnehin) den abergläubischen Professor. Dieser wirft ihm aber ein Tintenfaß an den Kopf und verwundet ihn schwer. Vom Krankenlager flieht der verwundete Student und stirbt bald darauf, so daß der Professor eigentlich der indirekte Mörder von Vater und Sohn ist.
Die Geschichte ist grausig, phantastisch und unangenehm peinlich. Wie sie unter dem Titel »Das verkaufte Skelett« kritische Anerkennung finden konnte (vgl. z. B. »Dresdener Journal«, 1865, Nr. 171, «Die Reform«, 1865, Nr. 76), bleibt unerfindlich.
Diese in gewagten Scheußlichkeiten wühlende Novelle ist für Schiffs Geistesrichtung in seiner letzten Periode sehr bezeichnend. Er wurde immer absonderlicher und verwunderlicher im Leben und im Dichten. Zahllos sind die Anekdoten, die heute noch in Hamburg über seine Eigenarten umhergehen. Sich selbst dem kleinsten Zwange zu fügen, vermochte er jetzt noch weniger als in seiner Jugend. Er ließ die Redaktionen immer im Stiche (Richter soll ihn einmal – Mitteilung des Herrn Robert Theen in Hambürg – tagelang in der Redaktion eingesperrt haben, um ihn zu zwingen, einen Roman zu vollenden), ging mittags im Schlafrocke über den Jungfernstieg, betrank sich in Gesellschaft Lysers und Paulmanns und machte selbst auf wohlwollende Beurteiler oft den Eindruck der Unzurechnungsfähigkeit. Von Mißgeschicken blieb er natürlich auch jetzt nicht verschont; die Teilnahme an der Gründung einer Theaterzeitung verursachte im Jahre 1861 Skandale und Prozesse (die Akten darüber erliegen im Hamburger Senatsarchive; interessant ist darin, daß sich Schiff mit Stolz auf sein Hamburger Bürgerrecht beruft).
Seine Schriften aus den Jahren 1861-1866 offenbaren deutlich den geistigen Verfall. Alles ist geschraubt, regel- und gesinnungslos. Von den feinen Einzelheiten, die man sonst immer bei ihm antreffen konnte, hat sich alles verflüchtigt. Schiff ging nur auf die gröbsten, selbst rohesten Effekte aus. Hauptsächlich warf er sich auf die Darstellung des kleinbürgerlichen jüdischen Lebens und die Bekämpfung des »Neuisraelitismus«. Aber seinen Angriffen fehlt jetzt die Wucht und die Kraft, man muß des Autors Absichten zu erraten suchen, die durchaus undeutlich zum Vorschein kommen. Eine Novelle »Die wilde Rabbizin« (übrigens schon 1858 in der »Reform« erschienen) gefällt sich darin, in hämischem, schadenfreudigem Tone die jüdischen Verhältnisse, die Schiff sooft und so kraftvoll angeklagt hatte, zu glossieren. Dem Ankläger fehlt aber jeder sittliche Ernst, und damit geht ihm wohl auch der Beruf zum Sittenrichter verloren. Aus dem Umstand, daß sich eine jüdische Gemeinde eine Rabbinersgattin, die unaufhörlich Ehebrüche begeht, nicht gefallen lassen will, kann man keinesfalls auf die Minderwertigkeit des Judentums schließen. Hier griff Schiff entschieden fehl, wie das jetzt überhaupt häufig geschah. Eine Betrachtung über Karl Gutzkows
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