Lebensbilder I (German Edition)
Selbstmord ist derart unzusammenhängend, daß man sich kaum zurecht finden kann. Schiff gibt die Schuld an dieser unseligen Tat dem Umstande, daß Gutzkow in der »Gesinnungspoesie« (er meint damit das »junge Deutschland«) tätig gewesen sei, die sich endlich überlebt habe. Daß Irrsinn Gutzkow dazu gebracht hätte, Hand an sich zu legen, leugnet der Verfasser, der nur Nahrungssorgen, Verkennung und Zurücksetzung als Selbstmordursachen gelten lassen will. Das war vielleicht ein Plaidoyer für Schiff selbst, der überhaupt mehr von sich und vielen anderen Dingen spricht als von Gutzkows Selbstmord. Auffallend ist, daß der tote Heine in dieser Schrift mit einer Unzahl grober Roheiten bedacht wird. Schiff hatte ihm anscheinend die Jugendzwistigkeiten und die Teilnahme an der jungdeutschen Bewegung noch immer nicht vergessen. Wie er sich überhaupt merkwürdigerweise bemühte, in dieser Zeit wieder zu den romantischen Neigungen seiner Frühzeit zurückzukehren.
Ungemein charakteristisch hierfür ist ein Brief – der einzige , der sich trotz eifrigster Nachsuche in öffentlichen Bibliotheken und bei privaten Sammlern auffinden ließ – den Schiff zu Beginn des Jahres 1865 an Julius Campe richtete. Er trug ihm einen Band »Legenden« zur Verlagsübernahme an; sein Lieblingsbuch »Gevatter Tod« sollte darin u. a. wiederum zum Abdrucke kommen. Bedeutungsvoll ist dieser Brief darum, weil Schiff seine ausgesprochen katholisierende Novellistik mit einem Male als – protestantisierend ausgibt. Er behauptet, daß er der einzige sei, der immer (im Gegensatze zu Goethe, Schiller und Tieck) protestantische Legenden verfaßt habe. Wie unwahr die Bemerkung ist, die nur gemacht wurde, um Campe, der als liberaler Verleger für katholische Schriftstellerei niemals etwas übrig hatte, zur Verlagsübernahme dieser Legenden zu bestimmen, geht schon daraus hervor, daß alle »Legenden« Schiffs die Bilderverehrung zur Grundlage haben, also einen wesentlichen Bestandteil des katholischen Gottesdienstes. Von dieser unwahren Behauptung abgesehen, ist der Brief in seinem sonstigen Inhalte für Schiffs letzte Lebensjahre sehr aufschlußreich.
Schiff schreibt:
Lieber Herr und Freund!
Unter dem vielen anderen haben Sie von mir meine Legenden
1. Geschichte eines Engels [Fußnote: Wohl identisch mit dem 1842 erschienenen »Marienkind«. ]
4 Druckbogen
2. Gevatter Tod (Volksbuch)
4 "
3. Des Teufels Schwabenstreiche (sic!)
4 "
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in Sa.
14 Bogen oder 224 Seiten
Titel:
Engel, Tod und Teufel [Fußnote: Der Titel sollte wohl an Dürers »Ritter, Tod und Teufel« anklingen, das Bild, das Fouqués »Sintram und seine Gefährten« so entscheidend beeinflußte. ]
Legenden
von
Dr. Hermann Schiff
Katholische Legenden gibt es zu Tausenden, und meine unerreichbaren Vorgänger Goethe, Schiller, Tieck und viele andere noch haben wohl Geschmack gefunden an dem Katholizismus. Den Protestantismus hingegen ließen sie als unpoetisch beiseite.
Ich bin der erste, welcher protestantische Legenden zu schreiben wagte. Im Jahre 1830 nämlich lernte ich Herrn Sigmund Wiese kennen. Dieser war ein Verehrer Schleiermachers, und Ludwig Tieck hatte Willibald Alexis aufgetragen, mich mit demselben bekannt zu machen.
Dies geschah, und ein Jahr lang waren wir die besten Freunde. Er aber schwärmte für Religion (auf Schleiermacherschem naturphilosophischen Standpunkt) und ich wollte Poesie. Er hatte keine Schule, und ich konnte seine Produktionen, wie genial sie auch angelegt waren, da ihnen alle Form fehlte, nicht anerkennen.
Seine Dramen erschienen bei Brockhaus und blieben unbeachtet [Fußnote: Siegmund Wiese (1800–1864) schrieb u. a. einen »Jesus«, einen »Moses« (beide 1844 im Verlage des Berliner Lesekabinettes). ] .
Unser »Gevatter Tod« (nämlich der Roman in zwei Bänden), das erste Produkt dieser Art, wurde, wie Sie sich erinnern werden, im selben Jahre seines Erscheinens nachgedruckt in der »Newyorker Schnellpost.«
Alles das werde ich in einer Vorrede mit kritischer Genauigkeit behandeln.
Eine bewegte Gegenwart hat mich 30 Jahre lang nicht irre gemacht. Ich habe nicht nach dem Urteil der Menge gegeizt, sondern stets getrachtet, mir selbst zu genügen.
Nunmehr bricht eine stille Zeit an. Die Politik zieht sich in die fürstlichen Kabinette zurück, und es fehlt an Rohstoff zu publizistischen Fabrikaten. Aus Langeweile und Bildungsverlangen wendet man sich den schönen Künsten wieder zu. Aber ach, wie vernachlässigt
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