Lebensbilder I (German Edition)
nahestehenden Tisch von köstlichem Schnitzwerk und bewaffnete sich für den Notfall mit einem asiatischen Giftpfeil, dessen Spitze er auf den Jüngling richtete. Sodann fragte er kopfschüttelnd: »Sterben willst du? bist jung, angenehm, wohlgebaut und ein Dichter? Was in aller Welt läßt dich den Tod wünschen? bist du entehrt?«
»Mich nicht zu entehren, sterbe ich!«
»Bist du im lebendigen Marionettensplel ausgepfiffen? Ist deine Geliebte gestorben, und kannst du sie nicht beerdigen lassen? oder ist deine Mutter, dein Vater unzufrieden, daß du auf der Welt bist? oder hast du den Spleen, der, um der Langeweile zu entfliehen, den Tod sucht? Sprich!«
»Ach!« seufzte der Jüngling trostlos, und ein Tränenstrom entquoll seinen Augen. »Ich bin elend, da habt Ihr alles in allem; das tiefste, schmachvollste, entsetzlichste Elend ist mein Los, und ich kann's nicht mehr tragen. Aber ich will weder Hilfe noch Trost von irgend jemand erbetteln! Lebt mohl!«
»Halt! Halt!« schrie der Greis dem Ungestümen zu; »die Nacht ist lang, du hast noch Zeit genug zu sterben. Hör' mich nur an, ich will dich nicht bemitleiden noch trösten. Ich gab dir weder einen Sou, noch einen englischen Pence, noch einen spanischen Maravedi, noch eine venetianische Gazette, noch einen afrikanischen Kori, noch eine indische Rupie, noch einen amerikanischen Gourd, noch eine russische Kopeke, noch einen holländischen Dennier, noch eine levantische Para, noch einen Genueser Crusado, noch einen Genfer Groschen, noch einen deutschen Heller, noch einen schweizer Batzen, noch einen preußischen Sechser. Ich gab dir nicht Gold, noch Silber, noch Wechselpapier oder Banknoten; ist aber Elend dein Leid, so kannn ich dich reicher, angesehener und mächtiger machen, als unser Bürgerkönig selbst es ist. Nun, wie schmeckt dir das?«
»Spottet Ihr meiner?«
»Schau hierher!« fuhr der Greis fort und wandte seine Lampe nach der entgegengesetzten Seite. »Sieh' dieses Elendsfell! Du nennst dich elend? nimm dieses Fell! Gemacht vom Elend, macht es elend den Besitzer; doch du, so elend, um den Tod zu suchen, hast dieses Elendsfelles Elend nicht zu fürchten und kannst getrost das Fell gebrauchen wider dein Elend.«
»Wie?« rief der Jüngling und betrachtete aufmerksam das weit ausgespannte Fell, das wie Silber flimmte und blitzte. »Zum Überfluß«, fügte er hinzu, »auch das Siegel Salomonis drauf, oder das Zeichen, was die Orientalisten so nennen. Schämt Euch, daß Ihr eines Unglücklichen so spotten könnt!«
»Bist du Orientalist?« rief der Greis erfreut; »nun, so wirst du auch den geheimnisvollen Spruch verstehen, der von allem dich überzeugen kann.« Er leuchtete näher; die Inschrift war matter als das ganze Fell, doch wenn man von der entgegengesetzten Seite leuchtete, so schien das Fell matt und die Schriftzüge blitzten. Diese erschienen wie durch eine äußere Vorkehrung auf das Fell hingeworfen; man mochte die Haare empor oder hier- und dorthin streichen oder niederglätten, die Züge veränderten sich nicht und verloren nichts von ihrer Sauberkeit und Deutlichkeit.
– »Die orientalische Industrie hat doch ganz eigentümliche Geheimnisse!« sprach der Greis.
Der Jüngling las die Inschrift:
»Wer mich besitzt, besitzt alles;
Wer mich besitzt, des Leben besitz' ich;
Wer mich besitzt, des Wünsche erfüll' ich;
Für jeden Wunsch zahlt seine Lebenszeit.
Wie ich mich mindre, mindert sich sein Leben,
Mit jedem Wunsche mindre ich mich!
Fremdling! willst du mich besitzen.
Greif zu!
Gott erlaubt's!«
»Du liest den Sanskrit sehr geläufig! warst du in Indien oder Bengalen?« fragte der Greis.
»Nein!« antwortete der Jüngling, das Wunder immer noch mit zweifelhaften Blicken anstarrend.
»Dies Geheimnis scheint dich sehr zu beschäftigen!«
»In allem Ernst, darf ich meinen Sinnen trauen? Träume ich nicht?«
»Die letzte Frage ist schwer zu entscheiden und läßt sich ebensogut mit ja, wie mit nein beantworten. Oft erlebt man mehr im Traum als je in der Wirklichkeit, oft verträumt man dort die Zeit unnützer als im Schlaf. Diese Frage also gehört nicht hleher. Indes hast du mehr Energie als irgendeiner, dem ich diesen Talisman zeigte. Jeder leugnete bisher dessen magische Gewalt und nannte dergleichen Aberglauben. Dennoch aber hatte keiner das Herz, nur zur Probe einmal zuzugreifen.«
»Ich wag' es drauf!« rief der Jüngling.
»Sachte!« entgegnete der Greis. »Der Besitz eines Talismans überträgt sich nicht wie der
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