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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ihren blendenden Schein über die goldenen Friese, das Schnitzwerk und die prangenden Meubles aus. Seltene Blumen in Töpfen und Kästchen, von Bambus künstlich geflochten, verbreiteten ihren aromatischen Hauch. Alle Draperien atmeten anspruchslose Pracht, und alles bildete eine geschmackvolle und harmonische Wechselwirkung von Glanz und Farbe. »Es gefällt mir,« sprach Raphael: »ja! es gefällt mir. Ich wünsche nur, ich hätte es nicht gewünscht; aber mich hungert ja, und darum will ich essen.«
    Schweigend betrachteten die Gäste die Tafel; sie war bedeckt mit einem Tischtuch, weiß wie frischgefallener Schnee, und schien mit der Kühle des Saales im Bunde zu stehen, die durch ein leises Frösteln Eßlust und Begier nach feurigen Getränken erregte. Ringsum reihten sich die Kuverts wie nach einem System und waren sämtlich mit gelblichen Brötchen gekrönt. Die Kristallflaschen und Gläser spielten in Regenbogenfarben; die Speisen unter Massen von Silber erweckten durch ihren Dampf Begier und Lüsternheit; Worte ließen sich nicht vernehmen. – Die Gläser füllten sich, die leeren Teller schwanden; der erste Gang war in königlicher Pracht vorüber. Es war die Exposition des Festes, und es folgte roter und weißer Burgunder, gleichsam als fortschreitende Handlung. Der zweite Akt ward geschwätziger als der erste. Manche Flasche Burgunder war des Todes verblichen, manche Nase und manche Stirn erschien von ihrem Inhalt gerötet: die Wangen fingen an zu brennen, die Augen zu schwimmen. Es war die Morgenröte der Trunkenheit. Aber immer noch hielt sich das Gespräch in den Schranken des Anstandes. Witze, Bonmots und Sarkasmen durchkreuzten sich schon blitzend, und Verleumdung, Neid und Mißgunst, heimisch unter allen Personen, die einer gewissen Öffentlichkeit genießen, fingen an, mit ihren Flügeln leise zu wehen.
    Der dritte Gang fand alle Geister in aufrührerischer Gärung. Man aß sprechend und sprach essend, leerte zugleich die Gläser, unbekümmert, wohin der Wein floß. Man begeisterte, parfümierte und badete sich mit den Getränken. Da kamen die Gewächse der Rhone, die alten Roussillons, und die langverschonten Champagnerflaschen entfesselten knallend ihre Pfropfen. Das Dessert ward in einem großen Aufsatz, der stückweise aneinandergesetzt die ganze Tafel bedeckte, aufgetragen. Niedliche und zierliche Gestalten hielten die Gelees und Eise von Erdbeeren, Ananas und frischen Datteln, Orangen und Granatäpfeln, kurz, alles, was Luxus und Gaumenkitzel nur wünschten, die seltensten und verführerischsten Leckerbissen waren in silbernen, goldenen, kristallenen, perlmutternen Gefäßen aufs neue im Übermaß verschwendet. Und die ganze Überraschung des plötzlich neu gedeckten Tisches erschien den Augen der trunkenen Gäste eine doppelte, denn sie sahen alles doppelt und schrien, als ob jeder zwei Stimmen habe. Alles schwatzte, räsonierte, lehrte und bewies, ohne daß man das eigne Wort vernehmen konnte. Man erzählte unerhörte Geschichten, und sie blieben ungehört; fragte, was nicht beantwortet wurde, und antwortete, was nicht gefragt war; kurz, jeder schwebte auf eigentümliche Weise zwischen Torheit und Vernunft. In diesem schien die Tollheit vernünftig, in jenem die Vernunft toll geworden; über alles hinaus aber erhob das Fest selbst seine schreiende Stimme und schwoll und schwoll wie ein Crescendo von Rossini; dann folgte plötzlich Stille. Der Wirt hatte sein Glas gefaßt und sich erhoben, die Gaste alle folgten seinem Beispiel. »Unser neues Unternehmen lebe, blühe und gedeihe!« rief er, und Unisono wiederholten es alle. Dieser Toast schien der Schlußakkord der Lärmsymphonie, dem eine Totenstille von zwei Sekunden folgte. Jedermann trank.
    Plötzlich lärmten Pauken und Trompeten. Eine Harmoniemusik von Blechinstrumenten stimmte ein schmetterndes Allegro an. Mit einem Male verschwand geräuschlos eine Draperie des Saales, der Tafel gegenüber, und alle Genüsse des Festes schienen zu erbleichen vor dem Anblick, der sich jetzt den Gästen bot.
    Man blickte in das Innere eines türkischen Zeltes, das von Schmelz, Flittern und Silber mit seinen ringsumher laufenden Polstern wie aus Licht und Glanz gewoben schien. Ein Kristallkronleuchter warf über alles ein so blendendes Licht, daß der Saal wie verdunkelt schien. Rings auf den Polstern lagen in reizender Stellung Odalisken, die, wie allmählich die Musik sanfter ward, einander sich aufzumuntern schienen, aufzustehen und einen Tanz zu

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