Lebensbilder I (German Edition)
du längs dem Kai gegangen bist, erfüllen sie sich auf die einfachste Art von der Welt; irgendein reicher Mann wird dir begegnen, dem du vielleicht früher einen Dienst geleistet hast, und wird dich in solch eine Gesellschaft, wie du beschrieben, führen.«
»Wie? So fände ich nur Erfüllung in Alltäglichkeit?«
»Das Elendsfell verwirklicht deine Wünsche; daß die Wirklichkeit enttäuscht und nicht befriedigt, wirst du wissen.«
»So bin ich betrogen!« rief der Jüngling.
»In keiner Hinsicht konnte ich dich betrügen. Sieh! ich gestehe dir, daß ich gern des Besitzes dieses Elendsfells mich entledigen wollte. Achtzig Jahre bin ich alt, bin reich, gelehrt, kunstverständig, vielleicht auch weise. Diese Triebe, die keine Wünsche sind, befriedige ich vollkommen; daher ist mir das Leben lieb, welches aber durch dies Fell einigermaßen bedroht wird; denn so alt und weise und reich ich sein mag, bin ich doch immer ein Adamssohn und konnte, eh' ich mich dessen versah, auf Kosten meines Lebens auf irgendein Begehren verfallen. Du aber wolltest sterben, drum schenkte ich dir eine Waffe, die deinen Selbstmord genußreich macht und nach Belieben ihn auch verzögern wird.«
»Jetzt endlich versteh' ich dich!« sprach der Jüngling, »und vermag es, dir Glauben beizumessen. Nicht großmütig hast du gegen mich gehandelt, sondern meine Verzweiflung nur als Mittel betrachtet, dich eines verderblichen Besitzes zu entledigen. Oh, du handelst sehr menschlich!«
»Du magst dir einbilden, göttlich zu handeln,« entgegnete der Greis spöttisch; »du kannst ja sagen, du opferst dich, um diesen Talisman zu vernichten, der einem andern Menschen verderblich werden könnte. Befrei' also die Welt von diesem Ungeheuer und sei stolz auf dein Heldentum!«
»Und wenn ich nun deinen Tod jetzt wünsche?« rief der Jüngling mit Donnerstimme, erzürnt über diesen Spott.
»Um Gottes willen!« kreischte der erschrockene Greis.
»O du weise Jammergestalt!« entgegnete verächtlich der Jüngling. »Nein, ich kann dir weder zürnen, noch dich hassen. Aber belustigen sollst du mich, zur Strafe für deinen Spott. Mögest du, weise, reich und alt, in eine alberne, unansehnliche, leichtfertige Tänzerin dich verlieben und alle Güter, deren du dich rühmst, seufzend zu ihren Füßen verschwenden. Ich aber will heute noch, was ich mir gewünscht, in magischer Vollkommenheit erblicken, und allen Zauberrausch des Geistes und Gefühls will ich erschöpfen!«
Gleichzeitig zuckte der Greis die Achseln, als wollte er sagen: Liebster! schon längst liebe ich mit all meinen genannten Eigenschaften eine solche Tänzerin und seufze zu ihren Füßen; und so wunderbar dir das auch vorkommen mag, so wirklich und der Wirklichkeit gemäß ist es doch. Auf diese Art, mein Freund, wirkt das Elendsfell, und so vereinen sich Wünsche mit Wirklichkeit.
Demungeachtet unterließ der Greis nicht, seinen Kundmann mit der feinsten Höflichkeit bis an die Haustür zu komplimentieren. Das Elendsfell, anfänglich hart wie eine Metallplatte. erweichte sich in der Hand des Jünglings und gewann eine Biegsamkeit gleich der eines wollenen Tuches, das man bequem in die Rocktasche stecken kann, wie es mit dem Elendsfell denn auch dieses Mal geschah.
Als der Jüngling die Tür des Magazins heftig zuschlug und auf die Straße hinausstürzte, rannte er drei junge Leute, welche eben Arm in Arm vorüberschlenderten, hart an. »Grobian!« riefen diese. »Aber das ist ja Raphael! Sieh da, und wir suchen dich; bist du es denn wirklich?« Diese freundschaftlichen Begrüßungen folgten der Injurie auf dem Fuße, da eben eine Laterne ihren hellen Schein auf die Gruppe der Verwunderten warf. »Bester Freund!« – rief derjenige, der von Raphael (so heißt der Held unserer Erzählung) fast über den Haufen gerannt worden wäre, «du mußt sogleich mit uns kommen!«
»Aber was gibt es denn?«
»Komm nur, unterwegs sollst du alles erfahren!«
Hiermit umringten ihn die lustigen Freunde und schleppten ihn halb mit Gewalt, halb gutwillig zum Pont des Arts.
»Teuerster!« begann jener wieder; »wir sind schon seit acht Tagen auf deine Fährte aus. In deinem achtbaren Hotel St. Quentin Rue Cordiers erfuhren wir, du habest eine Landpartie gemacht. Doch wir sahen ja nicht aus wie Goldmenschen; Manichäer oder Exekutoren; auch hatte Rastignac dich am Abend im Theater du Büffons gesehen! Wir faßten also Mut und begannen eifrig nachzuforschen, ob du in den Wipfeln der Bäume der Champs
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