Lebensbilder I (German Edition)
beginnen. Endlich ließen sich nur noch Flöten, Hoboen und Harfen vernehmen im zärtlichen Andante. Die Feengestalten begannen den langsamen Tanz, und es schien, als wollten sie Arme und Leib in dem schimmernden Lichtmeer baden, das sie rings umfloß. Aber ihre leuchtenden Augen schienen dennoch den so künstlich hervorgezauberten Glanz zu überstrahlen und die Musik sich im zarten Muskelspiel der Arme und des Halses, bei jeder Stellung, die sie allmählich annahmen, zu wiederholen. Auch der Faltenwurf der leichten Kleider, der die weiche Fülle aller Formen bald hier, bald dort verriet, schien mit in diesen Takt einzustimmen, den gleichsam Amor mit einem scharfen Pfeile schlug.
Eine jede hatte sich nach ihrer Phantasie, oder auch wie ihre Schönheit es begehrte, oder vielmehr nach den Kaprizen ihrer einzelnen Reize, deren jeder sich geltend machen wollte, gekleidet. Hier diente ein kohlschwarzes Halsband, auf die blendende Weiße eines Halses die Augen zu lenken, dort umflatterte ein feuerroter Gürtel die entzückende Taille einer Brünette; dort verriet ein völlig zurückgeschlagener Ärmel die Vollkommenheit eines Armes. Die eine schien ohne Herz und Liebe alle Stellungen der Liebe und Zärtlichkeit im Tanze anzunehmen, nur um sich darüber lustig zu machen: die andere schien sehr ruhig und behaglich ganz darin zu leben. Eine dritte schien ängstlich den Empfindungen sich entziehen zu wollen, ward aber wider Willen darin festgehalten. Kurz, alle taten, erschienen, fühlten und geberdeten sich, wie es sie am besten kleidete, und lebten für den Augenblick in der Vollkommenheit ihrer selbst.
Mit weit aufgerissenen Augen hatten die Gäste dies Schauspiel angestarrt; einer nach dem andern wurde sich des Zustande»seines Rausches bewußt und bemühte sich, ihn zu bekämpfen. Einer nach dem andern hatte allmählich den Sitz verlassen, seine Beine geprüft und war dem Zelte immer näher und näher getreten: und während alle bezaubert von den Künsten der Tänzerinnen da standen – die in so unmittelbarer Nähe, wo Auge in Auge blickt, wo jeder Atemzug und jede Bewegung gleich ihr Ziel treffen, viel gewaltiger wirken als von der geräumigen Bühne herab, von wo aus man sie gewöhnlich nur halb bewundert – sprangen die Tänzerinnen plötzlich zu den Zuschauern hin. Ein jede nahm einen oder zwei derselben bei der Hand und führte sie ins Zelt. Die Musik schwieg. Aus der Kunst geriet man in die Wirklichkeit, die reizend kostümierten Odalisken wurden längst gekannte Tänzerinnen. deren Freunde oder Anbeter oder Günstlinge, ja, auch einige wenige Ehemänner in der Gesellschaft sich befanden. Man ließ sich auf die Polster nieder: Kaffee und Liköre, Mandeln und Zuckerwerk wurden aufgetragen, wonach vorzüglich diejenigen mit Begierde griffen, die sich nicht fest mehr auf den Beinen erfunden hatten. Man unterhielt sich mit den Tänzerinnen, machte ihnen den Hof und Komplimente, ließ sich beglücken von einem geistigen Blick und sparte keinen Seufzer, kein Schmachten und keine Artigkeit. Es bildeten sich einzelne Gruppen, wo jedesmal eine ausgezeichnete Schöne wie eine Bienenkönigin in ihrem Stocke herrschte.
Eine hohe königliche Gestalt von stolzem Anstände und Wesen hatte Raphael und einen berühmten Porträtmaler bei der Hand gefaßt und neben sich zu den Polstern geführt. Ihr pechschwarzes, mit künstlerischer Nachlässigkeit geordnetes Haupthaar fiel in den dichten Locken auf die starken und glänzenden Schultern. Arme. Hals und Nacken waren fast gänzlich entblößt. Ihre dunklen, großen Augen leuchteten matt aus den halbgeschlossenen Augenlidern, von langen Wimpern schwärmerisch beschattet, hervor, der welche Mund war halb geöffnet, und trotz ihrer majestätischen Gestalt lag sie matt und wie aufgelöst in dem schwellenden Sitze. Sie sprach kein Wort, aber ihre großen Augen ruhten immer verstohlen auf Raphaels Profil, der diese Blicke nicht beachten wollte. Es war die Schönste aller Anwesenden, und die Schönheitaristokratie. die sich in Gesellschaften dieser Art leicht bildet, sicherte ihr die Huldigungen aller, die sie wiederum nicht achtete. Sie war es, die Raphael zum Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit machte. Alle Blicke kehrten sich zu ihm hin.
»Wer ist der junge Mensch dort unten?« fragte der kleine, dicke, schwarze Notar, »war' es vielleicht Valentin, von dem sie mir so viel gesagt?«
»Was reden Sie von einem simplen Valentin?« antwortete dieser. Es war einer jener drei
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