Lebensbilder I (German Edition)
du von uns geschildert; auch nannten wir dich den kühnsten Streiter, der je Faust an Faust mit der Schwelgerei gerungen und von diesem zerstörenden Ungeheuer, mit dem alle starken Geister kämpfen, noch nie besiegt worden ist. Unser Wirt hat uns versprochen, das heutige Saturnal solle alles übertreffen, was je in Paris von mitternächtlichen Festen gesehen wurde, und er ist reich genug, alle Eleganz, Annehmlichkeit, Genüsse und Laster in ganz Paris so zu plündern, daß die kühnsten Wünsche einer Phantasie wie deine« –.
»Die kühnsten Wünsche! – Still! still! Das ist also die Wirkung meines Elendsfells?« rief Raphael.
»Deines Elendsfells?« lachte der Redner; »bist du ein solches?«
»Ja, der Besitz desselben macht mich dazu.«
»Geht ein Elendsfell solch einem Götterabend entgegen, als uns bevorsteht?«
»Das ist ja, was ich wünsche. Pfui! und alles wird nur, wie ich's sagte, nichts, wie ich's dachte. Alles gewöhnlich, alt, alltäglich und gemein. Elende Elendshaut!«
»Was Teufel redest du von Elendshaut und Elendsfell?« fragten die Freunde.
»Kinder! Kinder! Kein größeres Elend gibt's, als die Verwirklichung unserer Wünsche, und nichts wünschen zu können, was sich nicht verwirklicht! Es wird mich noch zum Einsiedler machen, das verfluchte Elendsfell!«
»Hast du den Verstand verloren?« fragten seine Freunde ernstlich besorgt.
»Nicht doch!« entgegnete Raphael; »Zeit meines Lebens habe ich nicht so weise gesprochen.« Bei diesen Worten standen die Freunde vor einem prächtigen Hotel der Rue Joubert und traten ein.
Zu beiden Seiten der breiten Treppe, die sie erstiegen, prangten, grünten, blühten und dufteten Blumensträucher, Myrten und Orangenbäume, und Raphael sagte: »Dennoch wirkt diese duftende, wärmende Halle wohltätig auf mich. Ich habe selten solchen Luxus im Peristil gefunden und wäre schon zufrieden, fühlte ich mich nur einigermaßen überrascht.«
»Und oben, Teuerster, sollst du erst recht aufleben!« sprach einer der Freunde.
»Und wenn wir nun erst das Schlachtfeld behaupten und als Sieger über alle jene Köpfe hinwegschreiten, sind wir dann besser, klüger, reicher in irgendeinem Stücke?« – Spöttisch zeigte er auf die Gäste in den von Licht und Luxus schimmernden Sälen, deren große Flügeltüren sich ihnen aufgetan.
Viele junge Leute, die durch Geist oder Talent damals einiges Aufsehen machten oder einigen Ruf zu erwerben im Begriff standen, bildeten die Gesellschaft. Junge Maler, deren erste Bilder mit der Schule der Kaiserzeit wetteifern sollten; Autoren, die mit neuen Werken der romantischen Poesie eine neue Bahn brechen wollten; Bildhauer, die durch ihre rohe Haltung auf ihre Kunst und Genialität anzuspielen sich bemühten; allbekannte Spötter, die keine Autorität erkannten als die eigene; Karikaturisten, die selbst den besten Stoff für ihren Stift abgaben; Tonkünstler, die ausgepfiffen, ohne an ihrer Kunst zu verzweifeln, und Redner, die auf der Tribüne gefallen, ohne sich weh zu tun. Hier schwatzten Autoren ohne Stil mit Autoren ohne Gedanken; dort ein Prosaist poetisch mit einem prosaischen Poeten. Da beklagten sich Tänzer, Bühnensänger und Schauspieler über die vielfachen Kabalen, um deretwillen sie nicht nach Verdienst anerkannt wurden. Ein St. Simonist wollte alles zu seinem Orden bekehren; ein kecker Politikus dagegen alles reformieren; ein berühmter Gelehrter wollte alles erklären und besser wissen und ein Vaudevillist alles dramatisieren.
»Wer von diesen allen hat eine Zukunft?« fragte sich Raphael wehmütig. »Gerät der Witz und die Lustigkeit in diesem Jahrhundert so schlecht, daß mein Elendsfell bessere Tischgesellen für mich nicht finden kann?«
Der Wirt, sorgfältig heiter, wie ein Mann, der zweitausend Taler an einem Abend verschwendet, blickte von Zeit zu Zeit ungeduldig zur Tür; man erkannte in diesen Blicken deutlich, daß die Gesellschaft vollzählig war bis auf einen – da erschien zur Freude des Wirtes der eine: ein kleiner, dicker Mann, schwarz gekleidet. Man bewillkommnete ihn von allen Seiten so artig und schmeichelhaft, daß sich leicht erkennen ließ, er sei der Notar, der das neue Journal gestiftet.
Ein Diener in Großgala öffnete jetzt die Tür des Speisesaales, wohin man sich verfügte und ohne Umstände an der reichbesetzten Tafel seinen Platz aufsuchte.
Zögernd trat Raphael ein. Der Saal war mit Gold und Seide reich bekleidet; große Wandleuchter mit einer Unzahl von Lichtern gossen
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