Lebensbilder II (German Edition)
Farbenschachteln, zog die Ärmel an, band ihre Schürze vor, doch ihre Gedanken, wie es schien, waren ganz wo anders.
»Merkt sie denn nichts?« fragte die Planta.
Ginevra richtete den Blick nach der Stelle hin, welche sie sonst innezuhaben pflegte, dann wandte sie sich wieder zu ihrer Arbeit zurück.
»Sie ist nicht böse,« sprach die Planta, »denn ihre Mienen haben sich nicht einmal verändert.«
Ginevra schien nichts zu hören, langsam schritt sie längs der Wand, die das finstere Gemach bildete, blieb träumerisch und gedankenvoll stehen und schien das Licht zu prüfen, das durch die großen Fenster fiel. Sie bestieg einen Stuhl, um den Vorhang viel höher aufzuziehen, und gewahrte in dieser Höhe, ungefähr einen Fuß über ihrem Haupte, eine Spalte in jener Wand; ihre Freude darüber ließ sich nicht verkennen. – Sie ging auf ihren Platz zurück, ordnete ihr Bild, stellte sich wie unzufrieden mit dem Lichte, holte einen Tisch herbei, stellte einen Stuhl darauf, bestieg diese Höhe und konnte nunmehr durch die Spalte blicken. Das Gemach war erhellt, und was sie sah, erschütterte sie heftig.
»Sie fallen, gnädiges Fräulein,« rief die besorgte Laura.
Alle Mädchen sahen die Verwegene wanken, aber die Furcht, ihre Gefährtinnen könnten ihr zu Hilfe eilen, lieh ihr Mut; mit unglaublicher Geschicklichkeit schwang sie sich ins Gleichgewicht zurück, und sich lächelnd zu Laura wendend, sprach sie: »Liebes Kind, dies Gerüst steht fester als ein Thron.«
Hierauf zog sie den Vorhang ganz in die Höhe, schob dann Tisch und Stuhl weit weg und schien mit der Stellung ihrer Staffelei nicht eher zufrieden, als bis sie sich dem Verschlusse gänzlich genaht hatte. – Hierauf ergriff sie Pinsel und Palette, aber sie malte nicht, sondern lauschte. – Bald vernahm sie dasselbe Geräusch, das vor einigen Tagen ihre Aufmerksamkeit im höchsten Grade erregt, viel deutlicher: die tiefen, gleichförmigen Atemzüge eines Schafenden. Sie hatte jenseits der Wand den kaiserlichen Adler auf einer geächteten Uniform und beim schwachen Tagesschein, der durch eine Luke fiel, einen Offizier, auf einem Feldbette schlafend, erblickt. Sie erriet alles, fühlte, welch schwerer Verantwortlichkeit sie sich unterzogen, und beschloß, alles anzuwenden, damit nicht eine ihrer Gefährtinnen dieselbe Entdeckung mache und der arme Geächtete der Verschwiegenheit und Willkür einer Leichtsinnigen preisgegeben würde.
Ginevra also war ihrerseits mit der ihr zugefügten Kränkung wohl zufrieden, aber ihren Mitschülerinnen blieb sie ein Rätsel. Niemand hatte es der Korsin, trotz aller guten Eigenschaften, die man an ihr wahrnahm, zugetraut, daß sie eine Beleidigung vergeben würde. Zum ersten Male war ihr jetzt eine Kränkung widerfahren, aber sie schien nicht einmal darauf zu achten. Demoiselle Planta wollte endlich in Ginevras Benehmen eine über alles Lob erhabene Seelengröße entdecken, und ihr Anhang schonte keine Worte, um die aristokratische Partei ihres rangsüchtigen Benehmens halber zu demütigen. Er hatte auch bereits seinen Zweck vollkommen erreicht, als Madame Servin eintrat und sprach: «Meine Damen, ich muß meinen Mann heut entschuldigen, er kann nicht kommen.« Sie begrüßte hierauf noch eine jede Schülerin insbesondere, empfing und erteilte Liebkosungen und Schmeicheleien in Gebärden, Worten, Mienen und Umarmungen, wie dies Art der Weiber ist. Hierauf ging sie zu Ginevra, die vergeblich sich bemühte, ihre Unruhe zu verbergen. Ein Gruß reichte zwischen ihnen aus. Ginevra malte, die Servin sah zu. Die Atemzüge hinter der leichten Wand wurden immer hörbarer, der Schlafende regte sich sogar, das Bette knisterte. Ginevra sah mit einem bedeutenden Blick auf die Servin, welche aber entgegnete:
»Ich wüßte wahrlich Ihre Kopie vom Original nicht zu unterscheiden, wenn ich Sie nicht daran arbeiten sähe.«
»Sollte Servin sie nicht in dies Geheimnis geweiht haben?« dachte Ginevra und begann eine vaterländische Kanzonette, damit das Geräusch des Schlafenden nicht gehört würde.
Madame Servin ging wieder, und die Malerinnen bereiteten sich ebenfalls, das Atelier zu verlassen. Nur Ginevra ließ sich nicht stören und tat, als sei sie willens, noch lange zu arbeiten, aber mit stets unruhigeren Blicken verfolgte sie eine jede bis zur Tür. Die Monsaurin beobachtete sie genau und geriet auf die Vermutung eines Geheimnisses. Sie ging ebenfalls, vergaß aber absichtlich ihren Arbeitsbeutel. Ginevra hatte in aller Eile
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