Lebensbilder II (German Edition)
Verschwiegenheit rechnen zu dürfen, händige ich Ihnen hier eine Anweisung auf 30 000 Franken ein, die Ihnen mein Bankier auszahlen wird. Sehen Sie es als ein Reisegeld an.«
»Madame!« rief ich aus, »bin ich Ihnen nicht schon für meine Freiheit die größte Dankbarkeit schuldig? Darum erlassen Sie es mir anzunehmen, was Ihre überschwengliche Großmut mir ferner bietet, ich müßte sonst als ein Unwürdiger vor Ihnen stehen, was ich um alles in der Welt nicht möchte. – Bin ich nicht etwa allzu gering durch diese Verbannung bestraft? – Ja, Madame, ich weiß, es ist ein Verbrechen, seine Liebe einem so erhabenen Gegenstande zu weihen, und es war verruchte Bosheit von mir, den Rang einer so hohen Dame zu ihrem Verderben benutzen zu wollen. Für ein Verbrechen, das ich bereue, wage ich es nicht, noch Wohltaten in Empfang zu nehmen. Auch habe ich so viel von dem erhabenen Gegenstand meiner Zuneigung empfangen, daß ich bei einem so mäßigen Leben, als ich zu führen entschlossen bin, unmöglich Mangel leiden kann: jede Vermehrung meines Reichtums würde aber meine heilsamen Entschlüsse nur stören. Viel, Madame, viel habe ich von jener hohen Dame empfangen, doch von allem, was mir durch sie ward, ist nichts mir ersprießlicher und heilsamer geworden als der Kerker, wo ich in mich ging und mich selbst kennen lernte. Für diese Strafe werde ich sie stets verehren und ihr Bild allenthalben mit mir herumtragen, aber nur, um mich zu erinnern, wie unwürdig ich des Glückes war, das sie mir gewährte, und gerne verzichte ich darauf, denn ich fühle, es ist für bessere Wesen als ich. So, Madame, denkt einer, den Mißgeschick gebessert, und dieses Mißgeschicks halber sollte mich mancher Glückliche beneiden. Aber ich bitte um Vergebung. In einem fürstlichen Paläste eifre ich wider das Glück und verschmähe die Reichtümer. War es zu dreist, gnädigste Gräfin, so bedenken Sie, daß ich einem Irrenhause erst gestern entkam.« – So schloß ich, denn meine eifrige Rede erregte ein Lächeln, welches meine hohe Gönnerin mit Mühe unterdrückte: sie erhob sich hierauf mit ungemeiner Grazie und deutete mit der Hand zur Türe. Als ich ihren Palast verlassen hatte und über die ganze Szene nachdachte, konnte ich mich auch nicht genug darüber verwundern, daß ich in meiner Arglosigkeit Dinge geäußert, die der Gräfin sehr beleidigend sein mußten.
Von meinem ferneren Geschicke läßt sich nicht viel mehr sagen. Ich verließ Paris; doch mein Vorsatz, ein nützliches, stilles Leben zu führen, kam nicht zum Gedeihen. Ich durchreiste Italien, das südliche Deutschland und Ungarn, in der Hoffnung, die Weltherrlichkeiten so zu genießen, wie meine Jugend davon geträumt; ich besaß zu wenig Kenntnisse, um die Kunstschätze nach Verdienst zu würdigen, und nicht Unbefangenheit genug und war zu träumerisch und unruhvoll, die Naturschönheiten zu genießen. Vor den stolzesten Werken des menschlichen Geistes, in den paradiesischen Gegenden Italiens, erfaßte mich das Gefühl der Alltäglichkeit, und ich fand an keinem Orte Ruhe. – –
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