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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Mau
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nen zeitgleich eine Privatisierung von Lebensrisiken zugemutet wird, als geradezu grotesk. Hinzukommt, dass die Märkte, die die Verschuldung der öffentlichen Haushalte zum Anlass für Bonitätsabstufungen einzelner Länder nehmen, die Politik dazu drängen, weitere Schutzschirme aufzubauen, also zusätzliche Verschuldungsrisiken einzugehen. Für die (zukünftigen) Mittelschichten bedeutet dies, dass sie über Generationen hinweg an der Abtragung der so entstandenen Schulden beteiligt sein werden. Zugleich werden die Staaten in eine dauerhafte Austeritätspolitik hineingezwungen, welche die Ressourcen, die für eine umfassende Daseinsvorsorge und wohlfahrtsstaatliche Absicherung zur Verfügung stehen, begrenzt.
    Während in vielen Ländern der westlichen Welt die Mittelschicht stagniert oder gar schrumpft, nimmt sie in den sogenannten BRIC -Staaten Brasilien, Russland, Indien und China rapide zu, ein Trend, der für das globale wirtschaftliche Wachstum mitverantwortlich ist. Auch was ihr zahlenmäßiges Volumen angeht, schicken sich die Mittelschichten dieser Länder an, den Westen zu überholen. Laut einer Studie der Investmentbank Goldman Sachs, die Menschen mit einem Jahreseinkommen zwischen 6000 und 30 000 Dollar zur Mitte rechnet, werden in Asien und Lateinamerika bald mehr Angehörige dieser globalen Gruppe leben als in den G7-Ländern (Wilson/Dragusanu 2008). Weltweit wächst die Mittelschicht demnach derzeit um etwa 80 Millionen Menschen im Jahr, 2030 werden rund 50 Prozent der Weltbevölkerung zu dieser Kategorie gehören (heute 29 Prozent), wobei sich der regionale Schwerpunkt dramatisch verschieben dürfte. Sollte sich diese Prognose bewahrheiten, wird China auch in dieser Hinsicht zum wichtigsten »Reich der Mitte«: 2030 wird das Land 18 Prozent der globalen Mittelschicht stellen (heute sind es noch vier Prozent), Deutschland nur noch zwei (heute sechs Prozent). Gemessen an der Gesamtbevölkerung des Riesenreichs sind 18 Prozent zwar immer noch recht wenig, sicher ist allerdings, dass die europäischen Mittelschichten dynamische
Konkurrenten bekommen werden. Die Strände der Côte d'Azur und die Ski-Ressorts der Rocky Mountains werden dann von Touristen aus anderen Kontinenten dominiert werden. Spitzenuniversitäten, Konsummärkte, Kulturinstitutionen wie Museen und Theater sowie das Verkehrs- und Transportwesen werden sich zunehmend auf diese neue Klientel ausrichten. Allerdings ist heute noch völlig unklar, ob die aufstrebenden Länder ein Rezept für die Aufgabe haben, Wachstum, sozialen Ausgleich und politische Partizipation auszutarieren und größere soziale Verwerfungen zu vermeiden.
    Anderswo Wachstum, hier Stagnation: Es sieht so aus, als habe die Expansion der Mittelschicht in Europa ihren Zenit überschritten. Es kann gut sein, dass wir die einstmals ausgerufene (real vermutlich nie existierende) »nivellierte Mittelstandsgesellschaft« (Schelsky 1953) hinter uns lassen werden. Doch wohin verschwinden die Angehörigen der deutschen Mittelschicht? Mobilitätsanalysen zeigen, dass Ab- bzw. Aufstiege an den Polen der Einkommenshierarchie eher selten sind (vgl. Grabka/Frick 2008). Die einkommensstarken Gruppen sitzen fest im Sattel, Menschen in Deprivationslagen scheinbar unbeweglich in der Armutsfalle. In der Mitte hat die Stabilität jedoch abgenommen, wobei die Abwärtsmobilität überwiegt. Angehörige der Mittelschicht fallen eher nach unten, als dass sie aufsteigen. Allerdings muss man auch hier differenzieren: Die Entwicklung betrifft weniger die Beamten und qualifizierten Angestellten, sondern eher einfache Facharbeiter und Angestellte im Dienstleistungssektor (Groh-Samberg/Hertel 2010). Die obere und mittlere Mittelschicht sind deutlich weniger von Prekarisierung oder erhöhten Abstiegsrisiken betroffen als die untere Mittelschicht.
    Die Wahrscheinlichkeit, zur Mittelschicht zu gehören oder dort zu verbleiben, hängt auch von der Lebensform oder Lebensphase ab, wobei Singles oder Paare ohne Kinder deutlich besser dastehen als Haushalte mit Kindern. Die Rentnerhaushalte sind insgesamt verhältnismäßig gut gestellt. Viele der aktuellen Rent
ner und Pensionäre gehören zur »goldenen Generation« der Bundesrepublik. Sie bekommen noch gute Leistungen aus der Rentenkasse, ihre Eigenheime sind in der Regel abbezahlt, vielleicht konnten sie nebenbei sogar ein kleines Vermögen akkumulieren. In der »Empty nest«-Phase nimmt ihr statistischer Wohlstand dann noch einmal zu. Deswegen

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