Lebenschancen
unbefristeten Vertrag haben, eine grundlegende Entlastung von Zukunftssorgen muss damit nicht einhergehen. Das kann man an Beispielen wie Karstadt oder Opel recht gut ablesen. Schon 2004 wurde bekannt, dass Karstadt sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, seitdem gab es mehrfach wechselnde Eigentümer (unter anderem Investmentbanken und Hedgefonds), einen Insolvenzantrag und immer neue Pläne für die Zukunft des Unternehmens. Das zehrt an den Nerven der Beschäftigten, die sich mit Lohnverzicht am Kampf um das Überleben ihres Arbeitgebers beteiligt haben. Auch für die Opelaner ist die Liaison mit General Motors mit einem ständigen Auf und Ab der Gefühle verbunden. Was wird, bleibt ungewiss. Diese zwei Unternehmen stehen im Lichtkegel der öffentlichen Aufmerksamkeit, sie sind in gewisser Weise allerdings symptomatisch für veränderte Erfahrungen der Sicherheit. In vielen Segmenten des Arbeitsmarktes kann auch ein normal Beschäftigter »selbst nach Zugeständnissen, Kostensenkungsplänen, erfolgreichen Restrukturierungen und Marktaufstellungen, [kaum] noch damit kalkulieren, dass sein Arbeitsbereich, seine Abteilung, sein Betrieb, sein Unternehmen auch nur mittelfristig bestehen bleibt« (Hürtgen 2008: 118).
Zumutungen der Restrukturierung und Anpassungsdruck
gibt es in vielen Bereichen und Sektoren. Für einige Gruppen entstehen dabei hohe soziale Kosten, andere überstehen solche Veränderungen recht unbeschadet und können ihre Position behaupten. Herfried Münkler vertritt die These einer zunehmenden Aufspaltung der Mitte: »Die Bedrohung der Mitte kommt von innen, nicht von außen. Erst die Spaltung der Mitte führt dazu, dass das Auseinanderdriften der Ränder und der Ausschluss einer zunehmenden Zahl von Menschen vom gesellschaftlichen Leben dramatisch erscheinen.« (2010: 58 f.) Ein Befund, den ich teile: Der Riss in Bezug auf Sicherheit, Status und die erwartbare Kontinuität von Lebensumständen geht durch die Mitte selbst. Ein Teil lebt nach wie vor in gesicherten Verhältnissen, ein Teil wird immer verwundbarer (Vogel 2009). Konnte man einstmals mit dem Beruf des Arztes oder des Lehrers einen bestimmten Status assoziieren, so ist das heute nicht mehr der Fall. Ein Arzt verdient in München als Radiologe 320 000 Euro netto im Jahr, ein anderer kommt als angestellter Kinderarzt im Landkreis Uecker-Randow auf gerade einmal 1800 Euro im Monat. Zwei Lehrer mögen sich in der Schule die Klinke in die Hand geben und können doch in ganz unterschiedlichen Sicherheitswelten leben: Hier der Beamte mit planbarer Laufbahn und der Aussicht auf Frühverrentung, dort der sich von Jahresvertrag zur Jahresvertrag hangelnde Angestellte ohne Aussicht auf Festanstellung. Zwar gilt der Beruf nach wie vor als zentrales Kriterium unserer gesellschaftlichen Selbst- und Fremdverortung (auf jeder Party wird man gefragt: »Und was machen Sie?«), doch die Aussagekraft der Variable sinkt. Inzwischen gibt es Anwälte mit Einkommen im unteren Segment, Schaffner in Leiharbeit, Professoren mit Zeitverträgen und scheinselbstständige Buchhalter in mittelständischen Unternehmen. Status und Sicherheit hängen heute nicht mehr allein vom Beruf, sondern auch vom Beschäftigungsverhältnis, von der jeweiligen Branche, Region oder einfach vom Zeitpunkt des Markteintritts ab. Bei vielen Start-Up-Firmen entscheidet nicht die Qualifikation oder
die Verantwortung im Job über das Gehalt, sondern einfach die Höhe der konjunkturellen Welle, die einen dorthin gespült hat. Dass kann so weit gehen, dass ein Vorgesetzter weniger verdient als ein Mitarbeiter, wenn letzterer das Glück hatte, in einer expansiven Phase an Bord gekommen zu sein.
Unsicherheit?
Flexibilisierung ist aber nicht nur gegen die Beschäftigten und durch die Entsicherung einstmals geschützter Erwerbsformen durchgesetzt worden. Es gibt ein wachsendes Heer von Menschen mit Tätigkeiten jenseits konventioneller Erwerbsarbeit, die sich mehr oder weniger freiwillig von den Zwängen des Normalarbeitsverhältnisses entfernt haben. In den Metropolen und Ballungszentren der Bundesrepublik finden wir sie allerorten: akademisch gebildete Alleinunternehmer, die auch unter dem Label »Kreativarbeiter« firmieren. Sie geben sich exotisch und aufregend klingende Berufsbezeichnungen, die eine Aura des Zukunftszugewandten verströmen. Ihre selbsternannten Vordenker Holm Friebe und Sascha Lobo schrieben dazu mit stolzer Brust und im Bekenntnisfieber ein Manifest mit dem Titel
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