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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Mau
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Wohlfahrtsleistungen als der Staat bezahlen könne, so dass viele Posten auf Pump fi
nanziert worden seien. In der Tat sieht man in den besonders überschuldeten Ländern, dass Leistungskürzungen an der Tagesordnung sind. Wenn sich nun angesichts der »Finanz- und Euro-Krise« eine Politik der Austerität durchsetzt, wenn das Ziel der Lebensstandardsicherung zurückgestellt oder ganz aufgegeben wird, sind die Statusinteressen der Mittelschicht natürlich ebenfalls berührt.
    Diese Entwicklung ist nicht neu, denn Einschnitte im Sozialbereich sind schon länger ein politisch umkämpftes Thema. Im Bereich der staatlichen Rente gibt es eine langfristige Leistungsabsenkung, so dass die Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche Rente allein kaum noch gelingen kann, vor allem dann nicht, wenn man keine kontinuierliche Berufsbiografie aufzuweisen hat. Auch die Rente mit 67 ist ein Instrument, um die steigenden Kosten unter Kontrolle zu halten. Mit der Riester-Rente stellte der Staat zwar ein zusätzliches, steuersubventioniertes und auf die Bedürfnisse der Mitte zugeschnittenes Vorsorgeinstrument bereit, aber dieses wird noch immer unzureichend genutzt und hat offensichtliche Mängel, wie wir später noch sehen werden. Altersarmut in der Mittelschicht beschäftigt uns heute vielleicht noch nicht so stark, wird aber in Zukunft ein großes Thema sein.
    Auch von den Arbeitsmarktreformen ist die Mittelschicht stark tangiert. Über die Hartz-Reformen ist so viel gesprochen und gestritten worden, dass man heute kaum noch ein Wort darüber verlieren mag. Was im Protestrausch unter dem Motto »Hartz IV ist Armut per Gesetz« jedoch oft unterging, ist die Tatsache, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe für sozial abgehängte Gruppen (vor allem die Langzeitarbeitslosen oder Gruppen ohne Leistungsanspruch) auch Verbesserungen mit sich brachte: einfacheren Zugang zu Vermittlungsangeboten und höhere finanzielle Leistungen. Für die Arbeitnehmermittelschicht bedeutete Hartz IV jedoch den Abschied von den einkommensäquivalenten Transfers: Weg von
der Statusgarantie, hin zur Nivellierung auf einem niedrigeren Niveau (Erlinghagen 2010). Nach einem Jahr Bezug des lohnabhängigen Arbeitslosengeldes wurden sie quasi mit Gruppen gleichgesetzt, die niemals erwerbstätig waren oder kaum Beiträge zur Arbeitslosenversicherung geleistet haben (Hassel/Schiller 2010).
    Die Diskussionen um die Offenlegung der finanziellen Verhältnisse, um »Schonvermögen« und angemessene Wohnungsgrößen gingen ans Eingemachte und lösten eine zusätzliche Verunsicherung aus. Man darf nicht vergessen, dass der Pegel der Arbeitslosigkeit sehr hoch stand, als die Reformen eingeführt wurden. Arbeitslosigkeit war kein Schicksal, das nur Gruppen am Rande der Gesellschaft drohte, sondern konnte (beinahe) alle treffen. Dazu kamen die verschärften Zumutbarkeitsregeln, die den Statusinteressen der Mitte zuwiderliefen. Die für die Grundsicherung geltende Regel, wonach im Grunde jeder Job angenommen werden muss, selbst wenn er nicht der früheren Tätigkeit oder Ausbildung entspricht, wenn die Arbeitsbedingungen schlechter oder die Bezahlung geringer ist, öffnete neue Falltüren nach unten. De jure heißt das: Ingenieure können als Regalauffüller im Supermarkt eingesetzt werden, Wissenschaftler als Pförtner, Ärzte beim Wachdienst. Zwar gibt es Hinweise darauf, dass Durchschnitts- und Besserverdiener relativ selten in die Gruppe der Hartz- IV -Empfänger hineinrutschen (De Luca 2010), doch das prinzipielle Risiko ist gewachsen. Dass die Furcht, arbeitslos zu werden, mit Statusangst einhergeht, kommt da wenig überraschend.
    Ein weiterer Aspekt der Hartz-Reformen hat die Gemüter der Mitte in Wallung gebracht – der Generalverdacht, arbeitsunwillig zu sein oder sich zumindest nicht genug anzustrengen. Die Reform ist auf Kontrolle, sanften, aber auch weniger sanften Druck sowie auf Anreize hin konzipiert und lässt weitestgehend außer Acht, dass die Arbeitslosen selbst daran interessiert sind, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Das Doppelgesicht
von »Fördern und Fordern« kann leicht abschrecken. Wo das Fördern noch als erträglicher Paternalismus durchgehen mag, hat das Fordern doch eine andere Qualität. Wer mit Drohgebärden und Sanktionsrhetorik konfrontiert wird, obwohl er sich nichts sehnlicher wünscht, als wieder in Beschäftigung zu kommen, vermutet sich im falschen Film. Dass Gerhard Schröder seine Reformen mit der

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