Lebenschancen
die Universität dann überhaupt noch? Auch hier zeigt sich wieder die Gefahr der Entwertung des Humankapitals, welches sich die Mittelschicht unter großen Mühen angeeignet hat.
Wahrgenommene Kanäle des Aufstiegs
Im nächsten Schritt gilt es nun zu klären, wie die Menschen die Statusordnung subjektiv wahrnehmen. Was antworten sie auf folgende Fragen: Wie kommt man in die besseren gesellschaftlichen Ränge? Wie kann man sich dort dauerhaft etablieren? Ist die Gesellschaft offen und fair? Umfragen zeigen, dass die Mehrzahl der Menschen der Meinung ist, Bildung, harte Arbeit, Fleiß und Initiative seien unabdingbar, um voranzukommen; gleichzeitig sind mittlerweile über 60 Prozent der Befragten der Ansicht, nicht alle hätten die gleichen Startvoraussetzungen, die Chancen seien insofern ungleich verteilt (vgl. Pollak 2010: 50 ff.). Im Jahr 2000 glaubten dies noch weniger als 50 Prozent. Weiterhin sind über 80 Prozent der Menschen überzeugt, Beziehungen seien für den sozialen Aufstieg wichtig, immerhin zwei Drittel betonen die Bedeutung der sozialen Herkunft (ebd.). Man sieht an diesen Daten, dass die Bevölkerung weder eine idealisierte Vorstellung einer rein leistungsbezogenen Statusordnung hat noch Aufstiege durch Fleiß und Anstrengung für unerreichbar hält. Über die Zeit wächst aber der Anteil derer, die Zweifel daran haben, dass die Gesellschaft Leistung und Intelligenz belohnt und gleiche Startchancen für alle bietet (siehe auch Schrenker/Wegener 2007). Fragt man direkter nach den Gründen dafür, warum jemand in der Gesellschaft zu Reichtum kommt, werden Beziehungen und günstige Ausgangsbedingungen am häufigsten genannt (ca. 80 Prozent Zustimmung bei den Antwortkategorien »oft« und »sehr oft«); deutlich weniger sehen Fähigkeiten und harte Arbeit als entscheidend an (Glatzer et al.
2008; Glatzer et al. 2009). Viele glauben, dass man ohne die Startvorteile einer privilegierten familiären Herkunft (also Vermögen, die Zugkraft belastbarer Beziehungsnetze) nicht ganz nach oben kommt (Sachweh 2009). Diese Wahrnehmung steht im Konflikt zu den gesellschaftlich hoch bewerteten Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit und der Chancengleichheit.
Vergleichen wir diese subjektiven Einschätzungen der Bürger mit den tatsächlichen Mobilitätsmustern in unserer Gesellschaft, sind Wahrnehmung und Realität möglicherweise gar nicht so unvereinbar, wie man auf den ersten Blick denkt. Mit sozialstrukturellen Verhärtungen, ungleichen Bildungschancen und Schieflagen bei Vermögen und Erbschaften ist unsere Sozialordnung vom meritokratischen Pol doch relativ weit entfernt: Herkunftsfesseln behindern soziale Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, sehr gut positionierte Gruppen verschaffen sich dauerhafte Wettbewerbsvorteile. Ich habe ja schon darauf hingewiesen: Wer in privilegierten materiellen Lagen aufwächst, verbleibt in der Regel auch dort. Die Vermarktlichung und die größere Rolle von Wettbewerb in unserer Gesellschaft schaffen hier kein Gegengewicht. Vielmehr ist anzunehmen, dass sich Anfangsunterschiede sukzessive vergrößern und dann uneinholbar werden, dass die gerechte Marktverteilung in eine ungerechte Chancenverteilung kippt:
»Überall dort, wo sich Wettbewerbsvorteile gleichsam nach dem Kapitalakkumulationsprinzip selbst vermehren […], verstärkt der Wettbewerb die natürlichen oder sozialen Ungleichheiten zwischen den Menschen: Einmal bestehende Bildungs-, Konditions- oder Vermögensunterschiede haben die Eigenschaft, sich unter Wettbewerbsbedingungen zu vergrößern und die Chancenungleichheit in jeder neuen Wettbewerbsrunde zu verstärken. Das Prinzip der Chancengleichheit wird daher im materialen Sinne durch den iterativen Konkurrenzprozess selbst unterminiert.« (Rosa 2006: 92 f.)
Unter diesen Bedingungen wäre der Markt selbst dann kein Garant für eine leistungsgerechte Verteilung, wenn alle gleich gute
Startchancen hätten, sondern würde Unterschiede katalysieren und verfestigen, so dass auch das Leistungsprinzip auf der Strecke bliebe. Man kann vermuten, dass die wahrgenommene Verletzung des Leistungsprinzips von vielen als zunehmend problematisch erlebt wird. Der Soziologe Sighard Neckel legt nahe, dass diese Entwicklung auch mit einem veränderten (und als kritisch wahrgenommenen) Gesellschaftsbild einhergeht:
»Da ist erstens der schwindende Glaube an soziale Mobilität. Graduelle Schemata in der Wahrnehmung der Sozialstruktur sehen einzelne Statuspositionen als
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