Lebenschancen
die Menschen dies auch so war. Sie reagieren insofern so, wie der Philosoph es prognostizierte.
Die Frage der Durchlässigkeit und Chancengleichheit ist auch von großer Bedeutung für die individuelle Leistungsbereitschaft. Nur wer davon überzeugt ist, dass seine Anstrengungen gesellschaftlich belohnt werden, hängt sich rein. Wenn hingegen gesellschaftliche Plätze qua Geburt zugewiesen werden oder sich Aufstiegskanäle verschließen, kann ein Motivationsdefizit entstehen. Auch eine wachsende Bedeutung von Glück, guten Gelegenheiten und einer Portion Chuzpe können die Leistungsbereitschaft Einzelner untergraben. Die Ergebnisse von Umfragen unter jungen Menschen sind insofern nicht verwunderlich: Fragt man Jugendliche nach ihren Plänen und Lebenszielen, so nennen viele keine konkreten Berufe, sie antworten eher ganz pauschal, sie wollten »reich« und »berühmt« werden. So wird es auch durch Jugendmagazine, Fernsehserien und Talentshows suggeriert. Solche Bilder der eigenen beruflichen Zukunft sind stark auf Erfolg und Prominenz ausgerichtet. Von einigen wird das Erlernen eines traditionellen Berufs sogar als Zumutung empfunden, weil es eher vom Traumjob weg, als zu ihm hinführt.
Auch das soziale Umfeld beeinflusst derartige Vorstellungen: Wenn in einer Abiturklasse eine Mitschülerin aus dem Stand zu einem Fotoshooting eingeladen wird und mit 2000 Euro nach Hause kommt, werden Nachahmungswünsche geweckt. In Russland konnte man in den Jahren nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems schnell aufeinanderfolgende Moden beobachten. Noch zu Beginn der neunziger Jahre galten Mafioso oder Model als durchaus attraktive Berufswünsche (wenn man, bezogen auf Ersteres, überhaupt von einem Beruf sprechen kann); dann kamen die Manager- und Banker-Laufbahnen, mit der Wirtschafts- und Finanzkrise die Karrieren im sicheren Staatsapparat. Russische Soziologen gehen davon aus, dass die Jugend vor allem in die Bereiche will, in denen es für wenig Arbeit großes Geld gibt, oder die, je nach Marktlage, Sicherheit versprechen (Quiring 2010).
Ich will derartige Phänomene hier nicht karikieren, weil sich dahinter doch wichtige Veränderungen gesellschaftlicher Leitvorstellungen verstecken. Um diesbezüglich klar zu sein: Die meisten Jugendlichen sind nach wie vor an »realen« und »handfesten« Berufen interessiert; sie zeigen sich begeisterungsfähig, scheuen auch Anstrengungen nicht und sind pragmatisch (Albert et al. 2010). Ihre Bemühungen werden aber nicht selten von alternativen Erfolgsmodellen konterkariert. Der »anstrengungsarme Erfolg« einiger gesellschaftlicher Gruppen oder zumindest die Tendenz der Überbezahlung in einigen Sektoren schlägt sich auch auf die allgemeine Motivationslage nieder. Langfristige Loyalitäten, das Aufbauen und Planen von Karrieren, das jahrelange Aneignen von Sachverstand und Fertigkeiten scheinen sich oft weniger gut auszuzahlen als das Nutzen kurzlebiger Gelegenheiten.
Ungleichheit und Statusstress
Je größer die Ungleichheit, desto riskanter das Scheitern. Die Fallhöhe ändert sich. Es macht einen Unterschied, ob man im egalitären Schweden einen Mittelklasse-Job verliert oder in den stärker polarisierten USA . Steigende Ungleichheit heißt nicht nur, dass die obere Hälfte oder das obere Drittel deutlich mehr Gewinne einstreicht als der Rest, es heißt auch, dass für alle wichtiger wird, auf welcher Sprosse der Einkommensleiter sie Tritt fassen. Die Leiter ist höher, und die Abstände zwischen den Sprossen werden tendenziell größer. Es mag uns deutlich besser gehen, als denen ein paar Stufen unter uns, aber es wird auch gefährlicher, den Halt zu verlieren. Damit gibt es für diejenigen in der oberen Hälfte der Einkommensverteilung nicht nur einen Statusgewinn, weil sich der Abstand zur unteren Hälfte vergrößert, sondern das mögliche Herunterfallen birgt auch größere Gefahren. Nur geschätzte zehn Prozent der Spitzeneinkommensbezieher sind in der Lage, die Risiken des Herabfallens zu vermeiden oder sogar auszuschließen, bei den Gruppen darunter gilt das für noch deutlich weniger Menschen. Weil das so ist, wird viel Energie in die Statussicherung gesteckt. Dalton Conley führt dazu aus: »Das gleichzeitige Absenken unterer Einkommen und die Steigerung hoher und höchster Einkommen rufen eine panische, aber rationale Angstreaktion hervor: Arbeite immerzu.« (2009: 22) In einem Forschungsprojekt, für das wir Menschen zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit
Weitere Kostenlose Bücher