Lebenschancen
der Bevölkerung der Mittelschicht zugerechnet werden kann (wie in Europa), doch ihr Bevölkerungsreichtum macht ihre Mittelschichten zu relativ großen Gruppen. An vielen Orten begegnet man ihnen: Der brasilianischen Großfamilie beim Lunch in einem der besseren New Yorker Restaurants, den russischen Touristen am Sonnenstrand in der Türkei oder den Chinesen im Hotel Mamounia in Marrakesch.
Im internationalen Vergleich ist die Zufriedenheit mit den materiellen Lebensbedingungen in Deutschland, Westeuropa und den USA immer noch hoch, aber die Unterschiede zu Befragten in den Ländern Asiens, Lateinamerikas und zum Teil auch Afrikas sind kleiner geworden. Das zeigen die Daten des Global Attitudes Project, die auf repräsentativen Umfragen beruhen ( PEW 2007). Innerhalb der OECD -Welt wächst die Zufriedenheit nicht mehr, in einigen Ländern fällt sie sogar. Besonders dramatisch sind die Diskrepanzen im Antwortverhalten, wenn man
wissen will, ob die Menschen glauben, dass es der nächsten Generation im eigenen Land besser oder schlechter gehen wird. In Deutschland geben 73 Prozent der Befragten an, den eigenen Kindern werde es eher schlechter gehen (17 Prozent sagen »besser«, sechs Prozent sagen »in etwa gleich«). In den Ländern Westeuropas und den USA , die im globalen Ranking der Lebensbedingungen derzeit Spitzenpositionen einnehmen, ist der Glaube an weitere Verbesserungen deutlich in der Minderheit; möglicherweise ist das ein ceiling -Effekt – man glaubt, man habe den Gipfel erreicht und es könne nun nur noch schlechter werden. Die große Krise der Jahre 2008 ff. hat die deutsche Gesellschaft (anders als die Bevölkerungen in Ländern wie Großbritannien und den USA , in Spanien und Italien) bislang zwar nur gestreift, viele spüren jedoch, dass wir mit neuen Gefahren und Unwägbarkeiten konfrontiert sind. Das Versprechen auf dauerhaften Wohlstand und die institutionellen Statuszusagen stehen zur Disposition. Auf der Grundlage ihrer Untersuchungen charakterisiert Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach diesen Zukunftspessimismus folgendermaßen:
»Es ist die Skepsis einer Gesellschaft, die fürchtet, ihren Zenit erreicht oder überschritten zu haben. Wenn die deutsche Bevölkerung befragt wird, welche Phase die besten Zeiten der Republik markiert, so nennen die meisten die sechziger und siebziger Jahre, teilweise noch die achtziger Jahre. Lediglich eine verschwindende Minderheit von 4 Prozent der Bevölkerung ist überzeugt, dass es Deutschland im Vergleich der letzten Jahrzehnte heute am besten geht. Offenkundig spielt für die Einschätzung, in welcher Zeit es Deutschland besonders gut ging, weniger das erreichte Wohlstandsniveau eine Rolle als die Erfahrung von Wohlstandsgewinnen. Eine Gesellschaft, die fürchtet, ihren Zenit erreicht oder überschritten zu haben, fürchtet Veränderungen. Sie kann sich die Zukunft nur als eine Verschlechterung gegenüber der gegenwärtigen Lage vorstellen und hofft entsprechend, dass es gelingt, den Status quo so lange wie möglich zu verteidigen.« (2010: 5)
Während im Erwartungshorizont der Menschen in den OECD -Ländern schrumpfender oder stagnierender Wohlstand eine prominente Rolle spielt, stellt sich die Situation in China oder Indien ganz anders dar ( PEW 2007). In China sehen 86 Prozent optimistisch in die Zukunft, in Indien sind es 64 Prozent. Die dynamischen Aufsteigerländer strotzen nur so vor Zukunftsoptimismus.
Durch Medien, Massentourismus und Migration hat sich das Wissen über die Lebensbedingungen an anderen Orten und in anderen Regionen exponentiell erhöht. Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von der Transnationalisierung sozialer Ungleichheit (Beck/Poferl 2010). Wenn Menschen heute und in Zukunft also Vergleiche anstellen, dann auch mit anderen Ländern oder Gruppen jenseits der nationalstaatlichen Grenzen. Das Gefühl der Besserstellung wird vermutlich nach und nach verloren gehen, im Gleichschritt mit den Wohlstandsgewinnen in anderen Ländern sowie dem zahlenmäßigen Wachstum und der zunehmenden Präsenz einer globalen Mittelschicht.
Deklassierungsrisiken
Neben der Erwartung stagnierenden oder schrumpfenden Wohlstands gibt es die neuen Zumutungen in den Arbeits- und Sozialwelten, die wir bereits genauer beschrieben haben. Viele Bereiche des Lebens unterliegen einer starken Ökonomisierung, Dynamisierung und Beschleunigung, welche den Druck auf den Einzelnen erhöhen und vieles instabil erscheinen lassen.
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