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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Mau
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Kontrollüberzeugungen ähnlich wie mit dem bereits angesprochenen Glauben an das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit: Nur wenn man der Überzeugung ist, dass man für Anstrengungen belohnt wird, ist es rational, sich Mühe zu geben. Dasselbe gilt für die Selbstwirksamkeit: Nur wenn man fest davon ausgeht, dass eigene Handlungen und Entscheidungen wirklich einen Unterschied machen, ergibt langfristiges, zielgerichtetes Handeln einen Sinn. Irgendwo haben wir es hier natürlich mit einer Form der Autosuggestion oder Selbsttäuschung zu tun: Wer an der Wirksam
keit des eigenen Tuns zweifelt, steht sich oft selbst im Weg (Schwarzer 1987). Tatsächlich erleben wir derzeit einen Boom von Kursen und Ratgeberliteratur zum Thema »Ichstärke-Ermutigung« und »Selbstmanagement«. Wir wollen und sollen glauben, dass Lebenssituationen gestaltet, beeinflusst und optimiert werden können. Menschen, die das Gefühl haben, es »packen zu können«, fühlen sich ganz allgemein wohler, zeigen in der Regel effektivere Coping-Strategien, sind belastbarer und emotional stabiler – und zwar ganz unabhängig davon, dass die Randbedingungen objektiv unsicherer sind als zuvor.
    Allgemein klafft aber eine tiefe Lücke zwischen der allseits geforderten Handlungs-und Gestaltungskompetenz und den diffuser und unübersichtlicher werdenden Kontexten (Schimank 2011a). Anspruchsvolle und informierte Entscheidungen werden gefordert, die Fähigkeit, die Nah- und Fernwirkungen des eigenen Handelns angemessen zu beurteilen, sinkt jedoch. Den Widerspruch zwischen der Anforderung, autonom, zielgerichtet und langfristig zu agieren, und dem Umstand, dass objektiv alles kontingenter, unübersichtlicher, ja zufälliger wird, erleben wir im Alltag nur allzu oft am eigenen Leib, wir sind dann gezwungen, zu simulieren. Nehmen wir das Beispiel Bewerbung: Dass wir uns jetzt und hier für irgendeine Stelle bewerben, hängt meist von allen möglichen Zufälligkeiten ab. Und dennoch trimmen wir unseren Lebenslauf dann so, als hätten wir die eigene Bildungsbiografie von Anfang an auf genau diese Stelle ausgerichtet: Jede Ausbildungsstation, jeder Auslandsaufenthalt, jedes Praktikum wird zum Schritt auf einem scheinbar wohldurchdachten Weg. Man inszeniert sich als entschlossenes, auf ein klares Ziel fokussiertes Individuum; Suchphasen, Unsicherheiten und Rückschläge lässt der Bewerber unter den Tisch fallen.
    Sozialpathologien unsicherer Märkte
    Märkte produzieren nicht nur Ungleichheit, sondern immer automatisch auch Unsicherheit – die Finanz- und Wirtschaftskrise hat uns das einmal mehr und in besonders extremer Form vor Augen geführt (Vogl 2010). Der Mechanismus von Angebot und Nachfrage ist auf Dynamik und permanenten Wettbewerb angelegt. Vergangene Verdienste werden nicht honoriert, es geht immer um die aktuelle Leistung (oder das zugeschriebene Leistungspotenzial), auch wenn das unserem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen mag. Nehmen wir den Rauswurf Michael Ballacks aus der Fußballnationalmannschaft: Hier entzündete sich eine Kontroverse darüber, ob Bundestrainer Joachim Löw dem verdienten Spieler und langjährigen Kapitän nicht einen ehrenvolleren Abgang hätte verschaffen müssen, obwohl eigentlich allen klar war, dass der »Capitano« sein früheres Leistungsniveau nicht noch einmal erreichen würde. Man erkennt schnell, welche beiden Imperative hier kollidieren: der der Anerkennung und der des aktuellen Marktwertes.
    Nach der Logik der sozial eingebetteten Märkte haben wir es im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mit einem knallharten Tausch (Lohn gegen Arbeitskraft) zu tun, sondern mit einer sozialen Beziehung, in der auch Prinzipien der Seniorität, Loyalität und Fürsorge eine Rolle spielen. Gerade wenn Mitarbeiter über Jahrzehnte bei einem Unternehmen beschäftigt sind, weicht die Leistungskurve im Zeitverlauf von der Verdienstkurve ab: Ältere Mitarbeiter werden dafür honoriert, dass sie in früheren Phasen auf eine produktivitätsgerechte Entlohnung verzichtet und dem Betrieb so lange die Treue gehalten haben. Das ist zugleich ein wichtiges Signal an die jüngeren Kollegen, und auch ökonomisch kann eine solche längerfristige Strategie durchaus sinnvoll sein.
    Rein marktförmige, auf kurzfristige Renditen ausgelegte Arbeitsbeziehungen, wie wir sie immer häufiger vorfinden, funktio
nieren anders: Sie stehen im Zeichen der zeitlichen Befristung. Entgelte werden variabel gehandhabt und an Erfolgskriterien

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