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Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Titel: Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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Kessel bunter Peinlichkeiten ersetzt, es fehlte nur noch, dass mein Vater zu »Macarena« strippte. Ich nickte Ashley zu, meine Augen sendeten ein unmissverständliches Signal des Aufbruchs, der Zeitpunkt des Abschieds war gekommen. Sie stand auf, verbeugte sich vor meinen Eltern, die immer noch in einem Dialog zwischen Brüllen und Tanzen gefangen waren, und ging mit mir zur Haustür.
    »I’m so sorry«, kramte ich eine englische Floskel hervor, doch sie sah mich nur ungläubig an.
    »For what?«, fragte sie arglos und streichelte mir über die Glatze.
    Wenn ihr der heutige Abend keine Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit meiner Familie beschert hatte, herrschte ab sofort Narrenfreiheit, dann konnten meine Eltern in Zukunft auch mit der Kalaschnikow das Licht ausmachen und die ganze Zeit rückwärtsgehen.
    Schließlich besannen wir uns auf die Völkerverständigung, die wir auf diesem Schüleraustausch gelernt hatten, und knutschten wieder wie die Elche, während im Hintergrund KISS ihren größten Smash-Hit »I was made for loving you« plärrten. Sechs lange Monate noch, dann würden wir uns wiedersehen.
    Der Bus, der die englischen Schüler vor zwei Wochen auf unserem Schulhof abgeladen hatte, saugte sie nun auch wieder ein. Einer nach dem anderen verschwand in der Türöffnung und tauchte dann wild winkend hinter der Zweifachverglasung wieder auf. Der Herbstwind schob die Gastfamilien zu einem Haufen Menschen zusammen, und während mein Vater murrend seinen Schal enger zog, schniefte meine Mutter in ein Taschentuch, was wohl nicht unwesentlich dem Abschied von Taylor, meiner Nemesis und ihrem Lieblingsgast, zuzuschreiben war.
    Mir war auch zum Heulen, was aber bestimmt nicht an Taylor lag, sondern vielmehr an dem Mädchengesicht, das sich schluchzend in meine Brust drückte und dabei einen hartkantigen Abdruck seiner Schminke auf mir hinterließ. Ashley war meine ganz große Liebe, so jedenfalls hatten sich mein Herz und mein Gehirn geeinigt, und demzufolge war ihr Abschied eine Katastrophe für mich. Auch wenn wir es in den letzten zwei Wochen geschafft hatten, Dialoge aufgrund der Sprachbarriere erfolgreich durch Zungenpantomime zu ersetzen, war ein Band zwischen uns entstanden, das bald durch eine riesige Landmasse und einen Ozean zerschnitten werden sollte. Die genaue Entfernung war egal, man hätte Ashley statt nach England auch auf den Mars schießen können, in unserer Verbindung, die doch sehr stark auf Haptik aufbaute, war sie so oder so ab sofort unerreichbar.
    Bevor er in den Bus stieg, verbeugte sich Taylor in ebenso weltmännischer Manier vor meinen Eltern, wie er es schon zur Begrüßung getan hatte, und schüttelte erst meinem Vater die Hand, bevor er meiner Mutter einen Handkuss gab. Mir dagegen warf er nur einen kurzen, abschätzigen Blick zu, der die komplette Botschaft »Warte nur, Bielendorfer, wenn du in sechs Monaten in England vor meiner Tür stehst, mach ich nicht auf« enthielt.
    Sechs Monate! In kosmischen Zusammenhängen nicht mal ein Wimpernschlag, aus der Sicht verliebter Teenager aber eine Ewigkeit, hämmerte es synchron mit Ashleys Zunge durch meinen Kopf, während meine Eltern und Taylor sich schamvoll von uns Frischverliebten abwendeten.
    »I will miss you so much«, radebrechte ich mein Denglish, die Nachricht war aber wohl angekommen, denn eine echte Träne rann über Ashleys Gesicht und verschmierte die unechten, aufgemalten Tränen der reizenden Gothin.
    »C’mon, kids, let’s go«, gab Ashleys Lehrer das Signal zum Aufbruch. Ich klammerte mich an Ashley wie ein Koala an den letzten Eukalyptusbaum, bis mich letztlich die Hand meines Vaters von ihr löste. Er legte seinen Arm um mich und brummte ein verständnisvolles »Junge, komm schon« in mein Ohr. Ashley glitt langsam aus meiner Umarmung und schwebte wie in Zeitlupe rückwärts Richtung Bustür. Ashley war wie ein Blinzeln in ein anderes Leben gewesen, ein Sekundenbruchteile dauernder Ausflug in ein Leben, in dem ich nicht nur ein dickes Lehrerkind, sondern ein ganz normaler Junge war.
    Nun war Ashley nur noch eines der Gesichter aus dem Businneren, ihr Atem beschlug an der Glasscheibe, wir winkten uns wortlos zu. Die Hand meines Vaters lag noch immer auf meiner Schulter, als der Busmotor röchelnd ansprang und der Auspuff schwarzen Qualm über den Schulhof spuckte. Ich konnte nicht anders und lief dem Bus nach – gerne würde ich erzählen, dass es, wie aus dem Kino bekannt, in Zeitlupe geschah, begleitet und

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