Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
getragen von schwerer Streichmusik. Doch statt eines Orchesters begleitete meinen Lauf nur das seelenlose Röhren des Busmotors, statt stilisierter Ästhetik in Schwarz-Weiß lief ich mit hochrotem Kopf an der Busseite entlang und klopfte, sinnlose Worte brabbelnd, gegen das Metall, bis ich, Gesicht voraus, im Matsch landete.
Plötzlich sah ich Taylors hämisches Grinsen neben Ashley auftauchen, er hatte sich für den Abschied eine besonders liebevolle Geste ausgesucht: Sein ausgefahrener Mittelfinger wurde in dem sich entfernenden Busfenster nur langsam kleiner. Gut, dass ich mir zum Abschied etwas Schönes hatte einfallen lassen und ihm als kleines Souvenir die Überreste meiner verlausten Haare in den Koffer gestreut hatte.
Triumphierend streckte ich meine Faust in die Höhe, es fühlte sich wie ein kleiner Sieg in einer großen Pfütze aus Leben an.
Der Klub der doofen Dichter
Ashley, Ashley, Ashley, dachte ich, als ich den Umschlag aufriss.
Endlich Antwort, drei Wochen hatte ich gewartet, und nun lächelte mich unterhalb der rotblauen Luftpostumrahmung die Queen würdevoll an. Hastig kippte ich den Inhalt auf meinen Schreibtisch.
Aus dem Umschlag glitten zwei Papierschnipsel und ein Brief, den ich sofort wiedererkannte. Es war derselbe, den ich ihr vor drei Wochen zugeschickt hatte. Das Schreiben lag vorwurfsvoll und unkommentiert auf meinem Tisch. Jedoch brauchte es auch nicht vieler Worte, um zu erkennen, dass meine Karriere als Liebesbriefschreiber ein jähes Ende gefunden hatte. Dafür reichte das Foto als Botschaft. Die mitgelieferten Papierschnipsel waren nämlich die Überreste eines Polaroids, das ich Ashley vor unserem Abschied geschenkt hatte. Auf der einen Seite des zerrissenen Bildes grinste ich dümmlich unter meinem Jägermeisterhut hervor, auf der anderen Seite lächelte Ashley mir weißgesichtig zu. Obwohl das als Botschaft schon recht deutlich war, hatte sie zum tieferen Verständnis noch ein »Fuck off« mit rotem Lippenstift quer über meinen Brief gekritzelt.
Was war hier schiefgelaufen? Reichte es nicht, dass ich in den letzten Wochen jede Minute damit verbracht hatte, an Ashley zu denken? Meine Eltern dachten schon, ich hätte mir beim Knutschen einen kapitalen Hirnschaden zugezogen, da ich auf jede Frage nur noch mit einem dösigen Grinsen und einem gehechelten »Jap« antwortete, mein Vokabular war auf simpelste Kommandos zusammengeschrumpft.
Ich hatte alles richtig machen wollen, meine Gefühle für Ashley in der reinsten Form zu destillieren, die die Sprache hergab, nichts anderes als wahre Lyrik war mein Ziel. Doch irgendwas schien bei Ashley falsch angekommen zu sein. Natürlich war das Versmaß meiner Liebesbotschaft nicht ganz sauber, und auch am dreihebigen Jambus war ich gescheitert, aber dafür reimte sich alles schön und war mit ausreichend Romantik zugekleistert, sodass ein Mädchenherz dabei eigentlich warm aufschäumen sollte.
Geschäumt hatte sie tatsächlich, mit den Worten »Fuck off« hatte ich dabei allerdings nicht gerechnet, als ich mein Liebesgedicht abschickte.
Etwas hilflos hielt ich die Reste meiner ersten Liebe in der Hand und überlegte, ob ich Ashley einfach anrufen sollte. Was aber sollte ich ihr mit meinem Mittelstufenenglisch erzählen, was ich in meinem Brief nicht schon viel eloquenter beschworen hatte? Ein erneuter Brief würde zu lange brauchen, wenn ich noch etwas retten wollte, musste ich gleich handeln.
Auch wenn meine Eltern Computer strikt ablehnten, hatte ich mir vor einiger Zeit eine E-Mail-Adresse zugelegt. Als ich meinen Vater zu Weihnachten darum bat, einen Computer anzuschaffen, um dieses Internet auch mal von zu Hause aus nutzen zu können, lehnte er mit den Worten ab: »Der Bildschirm der Schreibmaschine ist das weiße Blatt Papier, Bastian. Und dieser neumodische Quatsch kann das Briefeschreiben nicht ersetzen und wird es auch nie.«
Also radelte ich in die Schule, wo es seit einer Finanzspritze des Schulministeriums sogar einen Computerraum gab, der frei zugängliches Internet bot.
Als ich mich unter den strengen Augen des Aufsichtslehrers Herrn Rottner einloggte, war mein Mut schon wieder geschwunden. Was sollte ich ihr nur schreiben? Und was hatte ich da eigentlich schon geschrieben? Eines dieser Online-Übersetzungsprogramme könnte mir zumindest auf diese Frage eine Antwort geben, also gab ich den Text Wort für Wort in das betreffende Feld ein.
I like your spots
Wherever it rocks
I love your wimps
Whenever you
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