Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
überwinden. Vor dem Genickbruch bewahren konnte mich bei einem Absturz nur ein goldgelber Laubhaufen unter dem Baum, pflichtbewusst zusammengekehrt von einer Gruppe zu Sozialstunden Verurteilter, die alle paar Tage ambitionslos den Schulhof säuberten.
»Schwuuuli, spring doch, Schwuuuli«, grölte Gökhan abermals, die Möglichkeit ignorierend, dass ich am Ende als Pflegefall auf dem Beton aufkam. Plötzlich tauchte an der Fensterfront der Aula ein weiteres vertrautes Gesicht auf, hinter der Zweifachverglasung waren die Züge meines Vaters zu erkennen, der mich strafend anschaute. Allein sein Blick reichte aus, um telepathisch folgenden Dialog mit ihm auszutauschen: »Sohn, du bist doch wohl bescheuert, da kannst du nicht rüberspringen.«
»Ich muss aber, Papa, sonst werde ich diesen geistigen Tiefflieger nie los.«
»Das wird nichts ändern, außer vielleicht, dass deine Mutter und ich uns einen neuen Sohn suchen müssen. Vergiss nicht, wir sind noch im zeugungsfähigen Alter. Alles ist möglich.«
»Ihr versteht das nicht, ihr wisst nicht, wie es ist, jeden Tag gepiesackt zu werden.«
»Nein, können wir auch nicht wissen … Letztlich sind wir nämlich nur die strafende Stimme in deinem Kopf, die du dir einbildest.«
»Aha.«
Das war’s dann also mit meinem Heldenmut. Ein böser Blick meines Vaters reichte, um mich auf meine angestammte Rolle im Humus der Nahrungskette zu verweisen. Unter dem tosenden Gegröle von Gökhan und seinen Freunden stieg ich die Leiter wieder hinab, jede Sprosse fühlte sich wie eine zusätzliche Niederlage an. Verloren. Schon wieder. Gerade als ich wieder Bodenkontakt hatte, fühlte ich eine Hand auf meiner Schulter, so schnell konnte selbst mein Vater nicht von der Aula zum Transformatorhäuschen gerannt sein.
»Lass ma vorbei«, sagte Patrick und zog sich an der Leiter hoch wie ein Hochseilartist. Eigenartigerweise fühlte ich mich beim Anblick Patricks nicht feige, sondern stolz. Gökhan war verstummt, auch die anderen Schüler hielten den Atem an, für einen kurzen Augenblick schienen selbst die paar an den Bäumen verbliebenen Blätter stillzuhalten. Patrick ging die paar Schritte über den Kiesbelag auf dem Dach des Häuschens und machte dann einen Ausfallschritt dem Abgrund entgegen, als würde er einfach weiterlaufen. Er schnappte sich im Vorbeisegeln die Mütze und fiel geräuschlos herunter. Mit dem Hosenboden zuerst kam er auf dem darunterliegenden Laubhaufen auf und stand innerhalb eines Augenblicks wieder neben mir, als wäre nichts geschehen. Dann strich er sich das feuchte Herbstlaub von der Hose, drückte mir Hannas Mütze in die Hand und ging schnurstracks auf Gökhan Mutlu zu. Noch bevor dieser ein Wort sagen konnte, fragte Patrick schmallippig: »Okay, so?« und haute Gökhan zum zweiten Mal in zwei Tagen aus den Stiefeln, sodass er weitaus unsanfter auf dem Schulhofboden landete als Patrick.
Unter den weit aufgerissenen Augen der gesamten Schule gingen wir nebeneinander durch die grüne Haupteingangstür, nun war ich mir endgültig sicher, wir waren Freunde.
Ein Klassenfahrtreiseführer
Klassenfahrten sind verregnet, lebensgefährlich und ein unausweichliches Ereignis jeder Schülerkarriere. Wenn man also schon Hunderte Euro dafür ausgibt, dass man selbst oder das eigene Kind danach einen Psychotherapeuten oder einen Exorzisten braucht, sollte man wenigstens das Ziel sorgfältig auswählen. Sei es die besondere kulturelle Güte des Reiseorts, die möglichst kostengünstigen Unterbringungsmöglichkeiten oder einfach, weil die Lehrer schon immer mal davon geträumt haben, von französischen Jugendlichen überfallen zu werden – es gibt eine Vielzahl attraktiver Gründe, die für ein bestimmtes Reiseziel sprechen.
London
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Attraktionen
London ist mit kulturellen Höhepunkten so vollgestopft, dass es für eine Unzahl an Klassenfahrten reichen würde. Die nötige Ehrfurcht vor den Kulturschätzen der Insel fehlt den jugendlichen Besuchern allerdings oft, weshalb Wiederholungen meist durch Einreiseverbote erschwert werden. Vorher sollte man sich folgende Höhepunkte aber nicht entgehen lassen:
Der Wachwechsel der Beefeater
»Walla, was’n das für Biber?«, ist meist der erste Kommentar, den ein historisch interessierter Englischlehrer von seinen Schülern zu hören bekommt, wenn diese die traditionelle Uniform der Leibgarde sehen. Die Eliteeinheit der Beefeater, die nicht so genannt wird, weil sie kleine Kinder
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