Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
Minuten später hatte Jane uns im Zimmer ihres zweitjüngsten Sohnes Liam untergebracht, wo wir nun unter einem überdimensionalen Power-Rangers-Poster lagen und an die blumige Wandbordüre starrten, die sich wie ein Bekenntnis zur Geschmacklosigkeit durch das ganze Haus zog. Zwischen uns schnarchte der kleine Liam, vielleicht sieben oder acht Jahre alt, selig und nichts ahnend von der Schwermut, die ihn umgab. Ich musste wieder an Hanna und ihre Bitte denken. Lieber hätte ich einen lebendigen Igel heruntergewürgt, als Patrick auch nur ein Wort davon zu erzählen. Sollte sie sich doch selbst darum kümmern, dass mir das Herz gebrochen wurde. »You break my heart, I break your leg«, würde Herr Jünschke zu meinem Dilemma wahrscheinlich sagen.
Auch Patrick lag wach und starrte auf die Power Rangers, die mit ihren absurden Fahrradhelmen und Spandexanzügen an der Wand von Klein-Liam die Weltrettung versprachen.
»Eigentlich ganz schön hier«, sagte Patrick und schluckte hörbar. Ich traute meinen Ohren nicht, eine Gastfamilie, in der wir fast gekocht wurden, ein Bett, dass man sich zu dritt teilen sollte, und Essen, das durch die Genfer Konventionen verboten gehörte – und er fand das auch noch schön?
»Mhm«, murrte ich ungläubig. Wie schlimm musste es für Patrick zu Hause sein, wenn er diesen Ausflug als schön empfand? Ich wusste nur, dass Patricks Mutter alleinerziehend war und ihm in den letzten Jahren immer neue Väter vorgestellt hatte, wobei wohl keiner lange genug geblieben war, um sich zumindest als Schwippschwager vierten Grades zu etablieren.
»Wenigstens ist das hier eine Familie«, negierte Patrick den Umstand, dass auch hier die Männerrolle unterbesetzt war, vielleicht reichte eine gute Mutter auch schon zu seinem Glück.
»Du weißt, dass du mein bester Freund bist, oder?«, wechselte er das Thema, vielleicht auch um keinen Raum für Fragen zu lassen.
Ein richtiger, ein bester Freund. Das Gefühl war schön und neu, ein bisschen wie das erste Mal alleine Bahn zu fahren oder im Meer zu schwimmen. So viel Gefühl passte nicht zu Patrick, es passte ehrlicherweise auch nicht zu mir, wo ich doch die meiste Zeit damit beschäftigt war, Gefühle mit Niederlagen gleichzusetzen. Als er das so sagte, wurde mir sprichwörtlich warm ums Herz.
»Spürst du das auch?«, fragte er, es schien ihm zu gehen wie mir.
»Ja, klar«, sagte ich. Zu gefühlsduselig durften wir jetzt aber auch nicht werden, schließlich waren wir in der Pubertät.
»Der hat uns angepisst«, sagte Patrick und sprang aus dem Bett.
Das warme Gefühl verdankten wir dem Bettnässer in unserer Mitte
We are Family
Das englische Frühstück war für einen deutschen Gaumen schwer gewöhnungsbedürftig, alles schmeckte wie in Motorenöl frittiert, Patrick versuchte sich gerade durch ein scharlachrotes Würstchen zu säbeln, während ich widerspenstiges Rührei bändigte. Die Kinder saßen in Reihe neben uns und mampften glücklich, Jane strich ihren Jüngsten liebevoll über den Kopf, bevor sie auch deren Teller mit dem obligatorischen Matsch und roter Wurst bedachte. Taylor neben uns strafte uns weiterhin mit Ignoranz. Was er seiner wenig fremdenfreundlichen Oma wohl alles über uns erzählt haben mochte? Die beäugte uns noch immer argwöhnisch, vielleicht auch weil sie vermutete, wir hätten das Bett ihres Enkels eingenässt, um ihn zu diskreditieren. Auf Janes Erwiderung, dass die deutschen Gäste wohl kaum angereist seien, um die Betten ihrer Kinder vollzupinkeln, hustete sie nur ein abschätziges »well« und wühlte dann weiter in ihrem Frühstück. Insgesamt war die Stimmung am Tisch schwer angespannt, was sicherlich nicht daran lag, dass es der Morgen unseres letzten Tages in England war.
Im Nebenraum klingelte das Telefon, und Taylor stand pflichtbewusst auf, weil Jane gerade ihre Jüngste fütterte. Nach einem kurzen Wortwechsel verstummte unser Gastgeber. Hoffentlich war es nicht Herr Jünschke, der aus Deutschland anrief, um mitzuteilen, dass man uns versehentlich im United Kingdom vergessen hatte.
Dann aber drang ein leises Wimmern durch die Zwischentür zum Wohnzimmer. Jane stand auf und ging hinüber, Oma Connor ebenso. Wir warteten in der Küche und warfen uns fragende Blicke zu, aber als das Schluchzen aus dem Wohnzimmer mehrstimmig wurde, hielten es Patrick und ich für angemessen, zumindest kurz nachzusehen. Taylor, dessen Gefühlsspektrum gegenüber uns bisher zwischen »wütend« und »scheißwütend«
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