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Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Titel: Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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gependelt hatte, hatte seinen Kopf an Janes Schulter gedrückt und nässte mit dicken Tränen langsam ihr Oberteil ein. Oma Connor strich ihm ungeahnt sanft über den Kopf.
    »He’s not coming home, Mommy«, schniefte Taylor undeutlich in das T-Shirt seiner Mutter, was, wie wir erfuhren, die Nachricht war, die Taylor gerade von seinem Vater am Telefon überbracht bekommen hatte.
    Bewährung abgelehnt. Das zweite Mal.
    Deshalb war die Stimmung am Tisch so unangenehm gewesen, alle außer uns hatten diesen Anruf sehnlichst erwartet. Nicht aber sein Ergebnis.
    Aus dem ganzen Schluchzen hörten wir heraus, dass Vater Connor wohl noch eine ganze Weile wegbleiben würde, was besonders seinen ältesten Sohn, der versucht hatte, ihn die letzten Jahre zu vertreten, schwer traf.
    Auch wenn Taylors Boshaftigkeit mir gegenüber rekordverdächtig gewesen war, erkannte ich, dass es wohl auch nicht immer leicht war, das Knackikind zu sein. Wir würden wohl nie gemeinsam in einer Selbsthilfegruppe für geplagte Söhne sitzen, aber jetzt verstand ich immerhin, warum er mich so als Eindringling behandelt hatte.
    Selbst Oma Connor, bei deren Anblick ich mittlerweile spontane Angstattacken bekam, fiel in diesen paar Momenten auf ein trauriges Dasein als Familienoberhaupt zusammen, das ihre Tochter und ihre Enkelkinder stützen musste, wo es nur ging, um die Leerstelle zu füllen.
    Patrick und ich fühlten uns nun wirklich als Eindringlinge und schlichen zurück in die Küche, wo wir auf den Bus warteten.
    Als er eintraf, sah ich meine Klassenkameraden im Busfenster, manche sahen entgeistert aus, manche müde und manche glücklich. Ob es über ihre letzte Zeit oder ihre bevorstehende Heimkehr war, konnte ich nicht sagen. Doch als wir durch das Glas unserer Gastfamilie zuwinkten, wie sie da vor dem schmalen Reihenhaus stand, um uns zu verabschieden, wurde uns allen klar, dass wir uns nie wiedersehen würden. Immerhin hatte ich diesem Ausflug eine Menge zu verdanken: der erste Pornofilm, das erste Mal in einer Schwulenbar, das erste Mal einen richtig guten Freund an der Seite gehabt zu haben, das erste Mal einen Mordversuch überlebt zu haben (okay, das war mir seit meinen ersten Bundesjugendspielen, ehrlich gesagt, nicht ganz neu) und das erste Mal angepinkelt zu werden.
    Es war ein Ausflug in eine andere Welt gewesen, die nun von der Gegenwart zur Vergangenheit wurde. Irgendwie fühlte ich Reue und wusste nicht mal, warum.

Der Politiklehrer
»Eine Stimme für Bastian Biedenkopf« schnurrte Herr Rottner in seiner nicht enden wollenden Vokalmonotonie und zog quietschend einen einsamen Strich hinter meinen Namen an die Tafel. Zwei Jahre Politikunterricht, und der Mann kannte meinen Namen immer noch nicht. Im basisdemokratischen Prozess der Klassensprecherwahl konnte einen so etwas wertvolle Stimmen kosten. Bisher war die Bilanz ganz gut, direkt der erste Zettel aus der Wahlurne trug meinen Namen. Leider setzte nun eine Serie ein, die meine Hoffnung auf mein erstes politisches Amt meines Lebens zunichtemachte.
»Gökhan Mutlu.«
»Gökhan Mutlu.«
»Gökhan Mutlu.«
»Gökhan Mutlu.«
»Gökhan Mutlu.«
Herr Rottner wiederholte Gökhans Namen gebetsmühlenhaft und im gleichen Tonfall, in dem Peter Klöppel von einem Bombardement auf ein Terrorcamp berichten würde. Herr Rottner war seit vier Jahren unser Politiklehrer und das letzte wahre Enigma unserer Schule. Niemand wusste etwas über ihn. Ob er verheiratet, geschieden oder vielleicht schwul war, Kinder hatte oder noch bei seiner Mama lebte. Normalerweise hielten Lehrer sich im Unterricht meist nicht mit der Preisgabe privater Details zurück, besonders mein Vater sezierte unser Familienleben in jedem seiner Deutschkurse detailgetreu (»Entschuldigt bitte, liebe Klasse, dass ich so spät bin, mein weinerlicher Sohn Bastian hat heute die Mandeln entfernt bekommen«), was dazu führte, dass einige Oberstufenschüler mehr über mich wussten als die wenigen Freunde, die ich hatte. Herr Rottner jedoch war ein unendlicher Quell von Vermutungen und Gerüchten, niemand wusste so recht, wo der kleine schnauzbärtige Mann, der in seinem karierten Hemd und der kakifarbenen Pluderhose immer wie ein türkischer Taxifahrer wirkte, hergekommen war. Manche behaupteten sogar, Herr Rottner sei der erste Prototyp eines Superlehrers gewesen, der aus einem Geheimlabor am Nordpol entflohen sei. Sein ganzes Verhalten war so akkurat, nüchtern und mechanisch, dass die Vermutung, in seinem Kopf würde ein Akku

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