Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
politische Karriere schneller als Christian Wulff und schob symbolisch mit dem Handrücken die Amtsverantwortung von seinem Tisch.
»Mhm … gut, Gökhan, wenn du nicht mehr willst, musst du nicht. Dann muss das der Kandidat mit den zweitmeisten Stimmen machen … Bastian Bielendorfer.«
Ich schreckte aus meiner geistigen Lethargie hoch, hatte Herr Rottner gerade wahrhaftig meinen Namen gehustet? An der Tafel war das Wahlergebnis aufgelistet, eine Armee an geraden weißen Strichen hinter Gökhans Namen und ein einzelner, ömmeliger Strich hinter dem meinen?
»Bastian, nimmst du die Wahl an?«, fragte Herr Rottner nüchtern, ein wenig Feierlichkeit, etwas Schampus und ein kleines Feuerwerk wären schön gewesen.
Verdattert stand ich auf und erklärte meine Zustimmung. »Ja, Herr Rottner, ich will Klassensprecher sein.«
»Töfte, dann putz mal die Tafel, Tafeldienst macht nämlich auch der Klassensprecher«, sagte Herr Rottner und setzte sich an sein Pult.
Nun war ich Klassensprecher, und das nur, weil ich mich selbst gewählt hatte. Genau wie Adenauer. Aber ob der auch danach die Tafel putzen musste?, fragte ich mich, als ich anfing, den nach Seniorenschlüpfer riechenden Schwamm auszuwaschen.
Survival-Guide für Klassenfahrten
Die Grundausstattung
Jede Klassenfahrt birgt eine Unzahl neuer Eindrücke, vor allem für Erstausflügler, die ihr Zuhause noch nie ohne Begleitung der Eltern für längere Zeit verlassen haben. Für sie ist die Klassenfahrt ein erster Schritt in Richtung Selbstständigkeit, ein erster Riss in der Nabelschnur zum Elternhaus. Die meisten Eltern empfinden dieses plötzliche Fortbleiben ihrer Kinder als ungewohnt, und manche leiden sogar darunter, dass am gedeckten Abendbrottisch plötzlich ein Platz frei bleibt. Um den Eltern Sicherheit zu geben, aber auch um den Klassenfahrern ihre Reise trotz aller Unwägbarkeiten von 0,5-Sterne-Jugendherbergen und Verpflegung, mit der man Hyänen vergiften könnte, so angenehm wie möglich zu gestalten, gibt es ein paar Gegenstände, die unbedingt bei jeder Klassenfahrt mitgeführt werden sollten.
Der Brustbeutel
Der Brustbeutel ist ein Kleidungsstück, das in der modernen Gesellschaft eine viel zu kleine Lobby hat. Man wird keinen Geschäftsmann in der U-Bahn sitzen sehen, der einen
Prinzessin-Lillifee
-Brustbeutel um seinen Hals trägt, und keine coole Bedienung in einem Berliner Szeneclub würde sich freiwillig das Trinkgeld in einen Brustbeutel stecken. Dabei hat dieser meist neonfarbene Umhängesack offensichtlich nur Vorteile gegenüber einem schnöden Portemonnaie. Er hängt immer direkt in Reichweite, kann nicht aus der Hosentasche rutschen und bietet Platz für die wichtigsten Habseligkeiten eines Klassenfahrers. Ähnlich wie die Hundemarke eines Soldaten sind im Brustbeutel alle wichtigen Informationen über einen Schüler enthalten, der Ausweis, der Schülerausweis (macht immerhin zehn Prozent Preisnachlass auf Kinokarten) sowie Kleingeld – und bei manchen Kindern auch eine Liste mit Verhaltensanweisungen der Eltern.
Der Brustbeutel ist auch bedeutend besser gegen Diebstahl abgesichert als andere Geldbeutel, da der geneigte Dieb entgegen dem schnellen Griff in Jackentasche oder Rucksack erst unter die Jacke gelangen muss. Dies schreckt eigentlich jeden Langfinger ab. Nur im Einzelfall kommt es dazu, dass ein Dieb unter die Jacke fasst, in die Kordel greift und dann im Trageband des Brustbeutels hängen bleibt. Dies kann man sehr schön beobachten, wenn man mal einen schnauzbärtigen Mann mit Lederjacke an der Spanischen Treppe in Rom davonrennen sieht, die Hand immer noch an einem schreienden Schüler festgetackert, den er am Hals hinter sich herzieht.
Gummistiefel
Eigentlich der unverzichtbarste aller Ausrüstungsgegenstände. Nur Gummistiefel können dem Explorationsdrang mancher Pädagogen standhalten, die sich spätestens nach zwei Tagen in der Enge einer Jugendherberge zu einer Wanderung genötigt sehen. Da die Beaufsichtigung eines oder mehrerer Klassenverbände eigentlich schon mehr als die durchschnittliche Gehirnleistung eines Erwachsenen in Anspruch nimmt, bleibt für sekundäre Funktionen wie »Karte lesen« oder »Rückwege erinnern« meist keine Zeit, was dazu führt, dass man sich irgendwann hilflos verirrt und abseits aller Zivilisation wiederfindet. Meist erlangen die bemühten Lehrkräfte die Orientierung jedoch wieder, bevor die ersten Erfrierungsopfer zu beklagen sind oder es zum Umsturz der Gesellschaftsform kommt,
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