Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
auf die Viererzimmer, in zwei Stunden erwarte ich euch zur alpinen Einweisung im Speisesaal«, schmetterte er uns noch entgegen, während er seinen Seesack schulterte und uns ins Gebäude drängte.
Was auch immer das örtliche Fremdenverkehrsamt unter »Zimmer« und »Speisesaal« verstand – irgendwas musste bei der Übersetzung vom Italienischen ins Deutsche verloren gegangen sein. Denn bis auf weitere anklagende Jesusfiguren in jedem Raum verzichtete man hier anscheinend auf jegliche Behaglichkeit – Heizung und Warmwasser eingeschlossen. Selbst in einer christlichen Sekte fand man wahrscheinlich weniger Jesusdarstellungen pro Quadratmeter als hier, unsere Berghütte war katholischer als der Kölner Dom. Die Viererzimmer waren mit geschmiedeten Stockbetten ausgestattet, auf denen Armeedecken zum gegenseitigen Lausen einluden. Immerhin darin war ich bereits Experte.
Ich bezog in aller Eile eines der Stockbetten, denn meine Mission war klar: eine möglichst gute Figur machen, Hanna beeindrucken und anschließend fest an meinen lilafarbenen Skianzug drücken.
Wenn, also nur, wenn ich das hier überlebe, dachte ich, als ich kurze Zeit später den haarlosen Hinterkopf von Herrn Schmitz neben einem riesigen Haufen Skiausrüstung hin und her wackeln sah.
Wehrsportgruppe Schmitz
»6:45 Uhr, Aufstehen!«, schallte es durch den Flur, von dem die Zimmer der Wehrsportgruppe Schmitz abgingen. Durch den schmalen Spalt des Vorhangs schoben sich die ersten Sonnenstrahlen in unser Vierbettzimmer, während Schmitz in voller Skimontur gegen dieZimmertüren klopfte, als stünde das gesamte Gebäude in Flammen.
»Kommt schon … hopp, hopp, hopp«, röhrte der Gelsenkirchener Vierzehnender in die kalte Morgenluft. Langsam drehte ich mich aus meiner Schlafstätte und fand dort, wo ich den Fußboden vermutete, nur Luft vor. Mit einem lauten »Klatsch« fiel ich aus dem Hochbett und knallte auf den Linoleumboden.
»Alta … der mit seinem verdammten hopp, hopp, hopp, ich bin doch kein Hase«, murrte Kemal und tapste an mir vorbei, während man aus der hinteren Ecke des Raums das Zurren eines Reißverschlusses hörte. Rene Maurer war schon fertig angezogen und stapfte Richtung Zimmertür. Schleimer.
Knappe zwanzig Minuten später hatte ich mich in meinen Skianzug gepresst. Ohne die Hilfe meiner Mutter, die ächzend jede Welle meines Körpers in die Folie faltete, gestaltete sich das Anziehen noch schwieriger, ich wand mich auf dem Linoleumboden als würde ich gerade einen Backstein kacken.
Gut, an Sitzen, Hocken oder Husten war nicht mehr zu denken, nachdem ich mich erfolgreich in die Pelle eingenäht hatte. Doch besser als in Jogginghose durch den Schnee zu latschen, dachte ich, während ich meine Füße in die bereitgestellten Skischuhe zwängte. Schmitz hatte uns am Vorabend noch mit Skigymnastik malträtiert, die stark an Übungen zur Stärkung des Beckenbodens erinnerte und uns danach die Funktionsweise der circa hundertteiligen Skiausrüstung erklärt.
»Ihr müsst den Teller zwischen eure Beine klemmen, die Schenkel leicht anwinkeln und dann zusammenpressen«, machte uns Herr Schmitz in einer seiner beliebten Trockenübungen die Verwendung des Tellerlifts klar.
Er trug passenderweise den Skianzug Darth Vaders, sattschwarz und aus hochwertigem Nylon hergestellt, der in der Alpensonne glänzte wie eine Schlangenhaut. Nebenbei saß der hautenge Anzug bei ihm, im Gegensatz zu mir, natürlich auch noch wie angemalt, jeder gespannte Muskel seines Athletenkörpers zeichnete sich deutlich unter der schwarzen Hülle ab. Darth Schmitz war im Vergleich zu dem röchelnden Superbösewicht aus Star Wars allerdings auch noch ein höchst biegsames Männlein, das uns bereitwillig die wichtigsten Bewegungen des Skifahrens demonstrierte. In der Hocke traten seine gespannten Pobacken wie zwei Halloweenkürbisse aus dem engen Profiskianzug hervor, die mich als ein düsteres Vorzeichen anlachten.
Neben ihm harrte der kleine Südtiroler von gestern aus, der in seiner Lederhose, den fichtengrünen Kniestrümpfen und seinem karierten Hemd jeden Räuber-Hotzenplotz-Wettbewerb gewonnen hätte. Mit einem Gesichtsausdruck wie ein Nierensteinabgang stellte er sich erneut als »Jsäpe« vor. Giuseppe war für die Sicherheit am Tellerlift verantwortlich, was hauptsächlich bedeutete, dass er mit einer Zigarette im Mund an einen Holzbalken gelehnt dastand und etwas in seinen fusseligen Bart nuschelte, sobald die Mechanik des Lifts versagte. Seine
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