Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
Dann grinste er. Und dann lachte er.
»Na ja, wenigstens sind wir ADAC-Plus-Mitglied, die können ihn nach dem Urlaub dann aus dem Skikondom rausschneiden«, sagte er und ging zurück in sein Zimmer.
Es stand fest, in drei Wochen würde ich über einen verschneiten Gipfel der Alpen rasen. Zumindest einmal, bevor die Sanitäter kamen.
Abschied auf Westfälisch
Meine Eltern im Schlepptau, stand ich vor dem ockerfarbenen Hintereingang meiner Schule, der im Minutentakt Menschenmassen in den kalten Novemberdonnerstag erbrach.
Unser Reisebus stand schon bereit: ein bemerkenswert luxuriöses Stück Spitzentechnik, auf dem der serifenreiche Schriftzug »Köhler-Reisen« prangte. Fünf silberne Sterne unter dem Schriftzug gaben uns zu Recht das Gefühl, die nächsten Stunden als Könige der Straße über den kalten Asphalt zwischen Gelsenkirchen und Jochgrimm zu schweben.
»Der ist aber schön«, bemerkte meine Mutter nicht ohne Neid. In Erinnerung an das Liegewagenabteil, das mein Vater bei unserer letzten Italienfahrt gechartert hatte, wäre sie wohl auch gerne mal mit einer solchen Luxuskarosse über die Alpen gebrettert.
Mein Vater hatte seinen Kopf derweil in seinem Straßenatlas vergraben, die letzten Tage hatte er damit verbracht, die einzelnen Fahrrouten farbig zu markieren und nach Gefahren und Stauwahrscheinlichkeit zu kolorieren.
Um uns herum spielten sich Szenen von epischer Tragweite ab, die anderen Eltern verabschiedeten ihre Kinder, als würden diese auf ewig ins Exil auf einen Wüstenplaneten im Sternbild Alpha Centauri verbannt. Der Vater meiner Mitschülerin Mona Bauerfeind bestand eigentlich nur aus Schnurrbart und Körperbehaarung, aus der ein Schwall Tränen in die Frisur seiner Tochter tropfte.
»Auf Wiedersehen, mein Engel … mein Herz«, brüllte der kleine, halbglatzige Mann, und die Mutter, nicht viel größer, mit Hochsteckfrisur und roten Bäckchen, drehte sich weg und lehnte sich heulend an einen Baum. Mit Monas Rückkehr außerhalb eines Zinnsargs war wohl nicht mehr zu rechnen.
Meine Eltern und ich besahen das Spektakel mit einer gehörigen Portion Misstrauen, denn im westfälischen Emotionsfundus meiner Familie waren tränenreiche Abschiede und öffentliches Geheul nicht vorgesehen. Bei uns wurde auf die Schulter geklopft, viel Glück gewünscht (in meinem Fall eine passende Floskel, nur Gott und Glück konnten mir jetzt noch helfen) und sich umgedreht und nach Hause gegangen. Selbst wenn ich mir ein weißes Tuch mit rotem Punkt um die Stirn gebunden hätte und in Richtung Pearl Harbor aufgebrochen wäre, hätte mein Vater mir wahrscheinlich eher die beste Flugroute über den Pazifik rausgesucht, als sich vor anderen Leuten tränenreich zu verabschieden.
Dass diese Reise ein einsamer Weg ins Harakiri werden konnte, wurde mir spätestens klar, als ich die braun gegerbte Gesichtsschwarte von Sportlehrer Schmitz sah, der mit einem Seesack und Profiski hinter dem Bus auftauchte. Er trug heute gelbe Ballonseide und hatte trotz seines Alters die Spannkraft eines Berglöwen in der Hüfte. Jeder seiner Schritte federte, und sein gerader Rücken warf einen langen Schatten auf das welke Herbstlaub.
»Viel Spaß in der Wehrsportgruppe Schmitz«, flüsterte mir mein Vater zu und schickte sich an, die Flucht zu ergreifen.
»’n Morgen, Bielendorfers«, ätzte Schmitz militärisch. Sein Rucksack war wohl nicht das Einzige, was er vom Bund behalten hatte. Verächtlich musterte er meinen Vater und mich, den Generationenvertrag der sportlich Ahnungslosen.
»Na, Bielendorfer, fertig?«, plärrte mir sein beachtlicher weißer Haifischmund entgegen. Schmitz tendierte dazu, jeden Satz eine Oktave höher zu beenden, als wenn die Batterie in seinem Kopf alle paar Sekunden zu überladen drohte.
Da stand ich im Blättermatsch, den lila Skianzug im Gepäck, meine Eltern wie zwei stille Monolithen böser Vorahnung hinter mir und vor mir die Symbolfigur meines sportlichen Scheiterns, die mir wie die Lebkuchenhaushexe den Weg in den Bus wies.
»Da entlang«, kommandierte er im gewohnten Ton eines römischen Heerführers und zeigte … hinter den Bus. Meine Eltern und ich wackelten nichtsahnend hinter dem Auspuff des Premiummodells von »Köhler-Reisen« herum und erblickten ein zweites Gefährt, das zwar gleich groß war, aber aussah, als hätte die GSG9 es für eine Terrorübung ausgebombt. Das Luxusmodell war wohl für die viel größere Toskana-Gruppe vorgesehen, deren Abreise ein paar Stunden nach
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