Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
geplatzt? Doch nichts dergleichen, Kemal hatte lediglich ein Werbeplakat erblickt, das innerhalb weniger Augenblicke die gesamte Klasse in seinen Bann zog.
»Amsterdam Dungeon«, las man da in blutroten Lettern, daneben war ein Bild von einem Mann mit zugenähtem Mund und Platzwunde abgebildet, sehr einladend. Dachten jedenfalls Kemal und der Rest der Klasse, und nun wurden Herr Sommer und Herr Wolke bearbeitet und bekniet, dass das doch eine gelungene Alternative zu Van Gogh wäre.
Kaum zu glauben, aber sie schafften es, auch wenn Herr Sommer insistierte und damit drohte, dass er aber bestimmt nicht mitkäme, was überraschenderweise für alle akzeptabel war. Wahrscheinlich waren unsere beiden Klassenfahrtbetreuer froh, dass nicht Rotlichtviertel oder Sexmuseum vorgeschlagen wurden.
Eine halbe Stunde später standen wir in einem verdunkelten Kellerverlies, in dem sich eine Unzahl von Folterinstrumenten aneinanderreihte. Gökhan verbriet gerade den Rest seines Wechselgeldes an einem Automaten, an dem man eine Puppe unter eingespieltem Geschrei auf dem elektrischen Stuhl rösten konnte. 50 Cent pro Durchgang, Gökhan hatte mittlerweile schon mehrere Gulden eingeworfen, um die Puppe zu braten, der Sadist in ihm war deutlich stärker als der Kapitalist.
Das Gruselkabinett des Dungeon war genau das Richtige für uns, an jeder Ecke wurde gehängt, gevierteilt und gefoltert. Also nicht viel schlimmer als Sportunterricht, dachte ich und ließ ein Souvenirfoto von mir und Patrick machen, bei dem er den Hebel einer Guillotine umlegte, in der mein Kopf steckte.
»Wann willst du eigentlich mit Hanna reden?«, fragte Patrick, nachdem er mich fröhlich hingerichtet hatte.
»Keine Ahnung, heute Abend?«, schlug ich eher aus Verlegenheit vor, die Frage war mir unangenehmer als das Hackebeil, unter dem ich immer noch lag.
»Wird ja auch Zeit«, stellte er fest, als befände ich mich schon an der Grenze zur Vergreisung. Aber er hatte ja recht.
Jetzt war aber auch kein schlechter Zeitpunkt, Hanna und Mona standen gerade vor einem Galgen, an dem man für 50 Cent eine Puppe vom Schemel in den Tod stoßen konnte.
»Soll ich sie mal fragen, was sie da so abhängen«, scherzte ich, doch Patrick warf mir nur einen vorwurfsvollen Blick zu, er wusste ganz genau, dass ich mich drückte.
Zurück im Hotel Dolores, wurde uns eine Suppe kredenzt, die aussah, als hätte die Oma von der Rezeption ihr Haarnetz ausgekocht. Da die meisten von uns volljährig waren, ließen Herr Wolke und Herr Sommer uns sogar alleine losziehen.
Vorher zeichneten sie allerdings mit einem roten Filzstift noch jene Viertel in den Stadtplan ein, in die wir auf gar keinen Fall gehen sollten.
Ein genialer Plan, so wussten Gökhan und seine Freunde jetzt, dass sie die Coffeeshops nicht noch extra im Reiseführer suchen mussten.
»Und wo geht ihr heute hin?«, fragte Hanna unvermittelt, als wir uns nach dem Abendessen in dem schmalen Gang vor unseren Zimmern trafen.
Patrick und ich warfen uns einen ahnungslosen Blick zu, hier galt es jetzt Haltung zu wahren.
»Na ja, wir wollten in einen Coffeeshop und dann mal schauen, was so geht«, jugendsprachte ich erfolgreich an der Wahrheit vorbei. Eigentlich hatten wir geplant, noch mal in den Kroketten-Selbstbedienungsladen zu gehen und dort unser Gewicht zu verdoppeln.
»Oh super! Würdet ihr uns mitnehmen, wenn ihr wisst, wo einer ist?«, fragte sie und grinste.
»Klar«, sagten wir gleichzeitig und voller Selbstvertrauen, als wären wir Graf Koks und Don Bong.
Zurück im Zimmer, schmiss ich mich aufs Bett und gab ein Geräusch von mir, das wie ein Robbenjunges klang. Das Problem am Lügen war eindeutig, dass man die Konsequenzen tragen musste.
»Wo sollen wir denn mit denen hin?«, fragte ich Patrick und wünschte mir, wir hätten besser zugehört, als Herr Wolke und Herr Sommer die verbotenen Stadtbereiche skizziert hatten.
»Ach, nicht schwer, immer der Nase nach«, grinste Patrick, seine Zuversicht war wie immer unerschöpflich.
Graf Koks und Don Bong
Wie immer hatte Patrick recht gehabt, denn als wir mit Hanna und Mona auf die Straße traten und zweimal links abgebogen waren, rochen wir auch schon den süßlichen Dampf eines vollgequalmten Coffeeshops. Nun galt es, ohne zu zögern durch die Tür zu treten, damit es so schien, als wären wir ortskundig. Wir traten ein.
Der »Buddha Coffee Shop« entsprach in allen Kriterien der Horrorvorstellung eines Sittenhüters. Er war dunkel, verwinkelt, und hinter
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