Lebenslänglich
Hantverkargatan hat gerade aufgemacht.»
Sie setzten sich an einen kleinen Tisch am Fenster.
Annika holte sich einen Kaffee, Nina wollte keinen. Sie nahm die Polizeimütze ab und lehnte den Kopf an die Wand.
«Das hier grenzt an ein Dienstvergehen», sagte sie matt. «Ich darf eigentlich nicht mal in die Nähe der ganzen Ermittlungen kommen.»
Sie suchte in ihren Taschen und zog schließlich einen Umschlag heraus. Annika nahm ihn und merkte, wie ihr Puls schneller wurde. Vorsichtig öffnete sie das Kuvert und blätterte die Porträtfotos durch.
«Welche ist Yvonne Nordin?»
«Raten Sie mal», erwiderte Nina tonlos.
Annika breitete die Polaroidfotos auf dem kleinen Tisch zwischen ihnen aus, nahm ein Foto nach dem anderen hoch und betrachtete es genau.
«Nein», sagte sie. «Ich kann es nicht erraten.»
Nina drehte eines der Bilder um und zeigte auf die Rückseite, dort standen Name und Personennummer der Frau.
Lena Yvonne Nordin war eine dunkelblonde Frau von durchschnittlichem Aussehen und mittlerem Alter, mit ernstem Gesichtsausdruck und vermutlich leichtem Übergewicht.
Annika nahm das Foto und betrachtete es eingehend. «Glauben Sie, sie hat Geld?»
Nina schnaubte.
«Das ist eine rein hypothetische Frage.» «Falls sie für die Morde in der Sankt Paulsgatan verantwortlich ist, war sie in Filip Anderssons undurchsichtige Geschäfte verstrickt. Dann hat sie auf den diversen tropischen Inseln sicher das ein oder andere Konto. Ich habe gestern Abend versucht, sie ausfindig zu machen. Sie ist unter einer Scheinadresse in Skärholmen gemeldet. Ich glaube nicht, dass sie dort wohnt.» «Warum nicht?», fragte Nina.
«Falls sie David wirklich erschossen und Alexander entführt hat, dann hat sie damit einen bestimmten Zweck verfolgt. Ich glaube, dass Alexander bei ihr ist, und er darf von keinem Menschen gesehen werden, jedenfalls bis auf weiteres nicht. Also fällt Skärholmen aus. Dagegen …»
Sie zog einen Notizblock aus der Handtasche und zeigte ein bekritzeltes Blatt.
«… hat sie vor genau einem Jahr ein kleines Haus mitten im Wald gekauft, nordwestlich von Orebro. Ein Stück nördlich von Garphyttan, hier!»
Sie deurete mit dem Stift auf ein kleines Kreuz.
Nina sah unglaublich müde aus.
«Julia erwähnte, dass zwei Frauen, oder vielleicht war es auch ein und dieselbe, von David verlangt hatten, dass er Julia verlassen sollte. Eine von ihnen hat abgetrieben.
Glauben Sie, das könnte entscheidend sein?»
«Ich brauche jetzt doch unbedingt einen Kaffee», murmelte Nina, und Annika stand rasch auf, um einen für sie zu holen.
«Meinen Sie, das mit der Abtreibung ist wichtig?», bohrte Annika nach und stellte die Tasse vor die Polizistin.
«Das kann ein schreckliches Trauma sein», sagte Nina und blies in die Tasse. «Manche kommen nie darüber hinweg.»
«Ach», sagte Annika und setzte sich wieder, «jetzt wollen wir mal nicht überdramatisieren. So ein großes Trauma braucht das nicht zu sein. Ich hatte eine Abtreibung, als Ellen ein halbes Jahr alt war, und ich kann sehr gut damit leben.»
Nina nahm einen Schluck Kaffee.
«Sie hatten also überhaupt keine Probleme?»
Annika verstaute ihr Portemonnaie in der Handtasche.
«Doch, es war wahnsinnig mühsam, telefonisch einen Termin zu bekommen. Ich habe herumtelefoniert wie eine Blöde, aber die Gynäkologiepraxen in Stockholm, bei denen überhaupt jemand ans Telefon ging, waren auf Wochen ausgebucht. Zum Schluss habe ich aufgegeben und den Abbruch in Eskilstuna durchführen lassen. Ich weiß noch, wie unglaublich erleichtert ich war, als ich wieder raus auf den Parkplatz kam. Was ist, Sie machen so ein skeptisches Gesicht?»
«Nicht alle reagieren so wie Sie. Es kann große Trauer auslösen und als schwerer Verrat empfunden werden …»
Annika war gereizt.
«Das ist es doch, was von einem erwartet wird. Es ist irgendwie nicht okay, wenn man sagt, dass man problemlos abgetrieben hat, aber das habe ich wirklich getan. Zu der Zeit wollte ich auf keinen Fall noch ein Kind.»
Sie sah Ninas missbilligenden Gesichtsausdruck.
«Was ist? Halten Sie mich für schlecht, weil ich froh darüber bin, abgetrieben zu haben? Habe ich mein Recht als Mutter verwirkt?»
«Nein, nein», sagte Nina. «Aber ich muss jetzt wirklich gehen.»
Sie erhob sich. Annika bemerkte, dass die Frau hinterm Tresen einen verstohlenen Blick in ihre Richtung warf. Die Polizeiuniform brachte die Leute dazu, sich schuldig zu fühlen, obwohl sie gar nichts getan
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