Lebenslänglich
machte das Radio an, um das
Morgenecho
zu hören. Der Nachrichtensprecher hatte eine unglaublich tiefe Stimme. Als sie die Topnachricht hörte, brach ihr der Schweiß aus.
«Die parlamentarische Analyse der Strafmaße und die Untersuchung zur Abschaffung der lebenslänglichen Frei heitsstrafe wird eingestellt, da die Vorgabe nicht zu erfüllen ist. Dies gab das Justizministerium vor wenigen Minuten in einer Pressemitteilung bekannt. Damit bleibt die lebenslängliche Freiheitsstrafe in der schwedischen Rechtsprechung auf unbestimmte Zeit verankert, was von der Opposition scharf kritisiert wurde …»
Kein Hinweis auf das
Abendblatt,
kein Wort darüber, was mit den Leuten geschehen sollte, die an dem Projekt beteiligt waren.
Sie machte das Radio aus, die Stille, die sich einstellte, war gewaltig. Das Dröhnen der Reifen auf dem Asphalt hallte im Wageninneren wider, bildete mit dem Nachklang der Nachrichtenstimme neue Worte. Sie schaltete das Radio wieder ein, suchte die Sender bis zum Ende des UKW-Bandes durch. Mix Megapol hatte einen starken Sender in Eskilstuna auf 107,3, und sie landete mitten in einem ewig langen Werbeblock, der mit der glitzerfröhlichen Versicherung abschloss, der Sender mixe das Neueste von heute mit dem Besten von gestern. Sie drehte die Lautstärke auf, um alle Gedanken und Stimmen fernzuhalten, die von Anders Schyman und Anne Snapphane und dem Nachrichtensprecher und Nina Hoffman und Söfchen
Dumme Schlampe
Grenborg …
Ein Stück hinter Köping sah sie eine Tankstelle, also konnte sie genauso gut gleich tanken. Sie setzte den Blinker, bog von der Kungsgatan ab und hielt vor den Zapfsäulen.
Nachdem sie gezahlt hatte, ging sie auf die Toilette, pinkelte und entdeckte, dass das Klopapier alle war. Mit einem Aufstöhnen zerrte sie ihre Handtasche heran, um nachzusehen, ob sie Papiertaschentücher dabeihatte. Während ihre Hand den Tascheninhalt durchwühlte, stieß sie auf etwas Weiches, Seidenzartes.
Der B H aus Sofia Grenborgs Kleiderschrank.
Sie legte das Teil auf das Waschbecken, zog ab, wusch sich die Hände und setzte sich auf den Klodeckel, das seidige Ding in der Hand. Das Preisschild war noch dran. Der BH war in Paris gekauft worden. 169 Euro.
Sie erinnerte sich an die Fotos, die zwei vor dem Eiffelturm, die Kinder auf der Veranda draußen auf Gällnö.
Wut schoss ihr bis in die Haarspitzen.
Sie bückte sich und holte das Taschenmesser aus der Handtasche,
Abendblatt – wenn's drauf ankommt,
und dann schnitt sie Sofia Grenborgs luxuriösen BH in Streifen, Streifen, Streifen, zuerst dünne, dann immer breitere Fetzen, sie wäre beinahe mit dem Messer an den Metallbügeln abgerutscht und hätte sich fast noch in den linken Mittelfinger geschnitten, sie säbelte und riss, bis sie ganz außer Atem war und das kleine Wäschestück nur noch aus weißen Spitzenfetzen bestand. Sie hätte gerne geheult, verbiss sich den Schmerz jedoch und feuerte alles zusammen in den Papierkorb. Sie riss ein paar Papierhandtücher aus dem Spender, machte sie nass und stopfte sie auf den Spitzenlumpen.
So, genau. Weg damit für alle verdammte Ewigkeit.
Sie versuchte, Zufriedenheit heraufzubeschwören, warf das Taschenmesser zurück in das Durcheinander ihrer Handtasche und ging wieder zum Auto. Sie fuhr Richtung Arboga, musste die Geschwindigkeit drosseln und landete hinter einem Abschleppwagen, der mit 60 durch die Gegend schlich. Sie war kurz davor, ins Lenkrad zu beißen.
Ihre Erleichterung war groß, als sie endlich überholen und auf die E 18 Richtung Örebro biegen konnte.
Was mache ich, wenn sie da ist? Was soll ich tun, wenn sie Alexander bei sich hat?
Sie würde überhaupt nichts tun, beschloss sie. Sie würde sich nur ein bisschen umsehen und dann wegfahren und die Polizei rufen, falls nötig.
Zufrieden mit ihrem Entschluss, rollte sie auf Orebro zu und entdeckte gerade rechtzeitig die Abfahrt nach Garphyttan. Die Straße war schmal und kurvig, an manchen Stellen eisglatt. Das Thermometer im Wagen zeigte eine Außentemperatur von null Grad an, sie fuhr noch ein wenig langsamer.
In der Ortschaft Garphyttan bog sie am Coop-Einkaufszentrum rechts ab, folgte der Straße mit den Villen auf der rechten Seite und dichtem Kiefernwald auf der linken, kam an einer Sportanlage mit Fußballfeld und Laufbahnen vorbei, und dann war der Ort auch schon zu Ende.
Es begann zu schneien, große, zögernde Flocken, die durch die Luft wirbelten und sich nicht entscheiden konnten, wo sie landen sollten.
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