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Lebenslänglich

Lebenslänglich

Titel: Lebenslänglich
Autoren: Liza Marklund
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ängstliche Augen bekommen, als Annika ihr Anliegen hervorstotterte. Er hatte ihnen ein Zimmer im zweiten Stock gegeben.
    Jetzt ließ Annika die Zimmertür hinter ihnen ins Schloss fallen, nahm die Kinder an die feuchtkalte Hand und stieg in den Aufzug.
    Das Restaurant war eine kühl-ambitiöse Angelegenheit mit Glasfront zur Straße, wandhohen Bücherregalen und Möbeln aus Stahl und Kirschbaum. Die Uhr hinter der Bar zeigte Viertel nach neun; sie hatte rund vier Stunden geschlafen.
    Das Frühstücksbüfett war abgegessen und unansehnlich, der Raum halb leer. Die Geschäftsleute waren zu ihren wichtigen Terminen aufgebrochen und hatten ein ältliches Liebespaar sowie drei japanische Touristen zurückgelassen, die sie und die Kinder allesamt anstarrten, ihre zerrissenen Jeans und den rußverschmierten Designerpullover, Kalle in seinem glänzenden Batman-Pyjama und Ellen in ihrem Flanellschlafanzug mit Schmetterlingen.
    Entschuldigt, dass wir mit unseren ungeputzten Zähnen und nackten Füßen euer gemütliches Frühstück stören.
    Sie biss die Zähne zusammen und goss sich Kaffee in einen Teebecher, nahm einen Joghurt und drei Scheiben gebeizten Lachs – den Joghurt, weil er das Einzige war, was sie herunterbekam, und den Lachs, weil er im Preis inbegriffen war, 2125 Kronen für ein «Standard-Doppelzimmer», das eher an einen Aufzugsschacht erinnerte.
Ich schaffe das nicht allein. Ich brauche Hilfe.
    «Das kann nicht sein», sagte Berit Hamrin. «Du hörst dich doch an wie immer.»
    «Die Alternative ist, dass ich mich hinlege und sterbe, und dann hätte ich auch gleich im Haus bleiben können», sagte Annika und kontrollierte, ob die Badezimmertür zu war.
    Sie hatte im Hotelfernseher, der unter der Zimmerdecke schwebte, den Zeichentrick-Kanal gefunden und die Kinder wieder ins Bett gepackt, jedes versorgt mit einer kleinen Schachtel Knusperflakes als Süßigkeiten-Ersatz. Dann hatte sie sich im Bad eingeschlossen, wo es auch ein Telefon gab, und ihre Kollegin in der Redaktion angerufen.
    «Und du hast überhaupt nichts mitnehmen können? Ich habe im
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-Nachrichtenticker von dem Brand gelesen, aber nicht im Traum daran gedacht, dass es eure Villa sein könnte. Du lieber Himmel!»
    Annika sank auf den Toilettensitz und presste die Hand an die Stirn.
    «Laut
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ist das Haus vollständig abgebrannt», sagte Berit. «Hat denn keiner von der Zeitung bei dir angerufen und gefragt, wie das passiert ist?»
    «Keine Ahnung», sagte Annika. «Ich musste mein Handy als Pfand im Taxi lassen.
    Aber ich glaube nicht, dass sich jemand gemeldet hat. Es gab ja keine Toten.»
    Berit schwieg. Annika spürte, wie ihr die Kälte des Porzellans bis in den Nacken hochkroch.
    «Was brauchst du am dringendsten?», fragte ihre Kollegin.
    «Die Kinder haben nur ihre Schlafanzüge an, und ich habe keinen Pfennig Geld bei mir.»
    «Welche Größe haben sie?», erkundigte sich Berit und klickte ihren Kugelschreiber schreibbereit, «110 und 128.» «Und die Schuhgröße?»
    Annikas Kehle schnürte sich zu, sie hatte Mühe zu atmen.
    Nicht heulen, nicht jetzt.
    «Ellen hat sechsundzwanzig und Kalle einunddreißig.» «Bleib, wo du bist. Ich bin in ungefähr einer Stunde bei dir.»
    Sie blieb auf dem Klo sitzen und starrte auf den Händetrockner, spürte, wie das Loch in der Brust pochte und brannte. Um sie herum trieben Schwaden aus Selbstmitleid und Mutlosigkeit und bitteren Tränen darüber, dass ihr alles genommen worden war, aber sie wollte sich nicht davon einhüllen lassen, denn in so einem Nebel würde sie nichts sehen können und sich unbarmherzig verirren.
    Dein Leben ist dahin,
wisperte er, aber sie wusste, dass es nicht stimmte, denn sie saß hier und fror, und Scooby-Doo nebenan im Zimmer rief, er habe Angst vor Gespenstern.
    Dir ist nichts geblieben!
    «Doch», sagte sie laut.
    Ein Zuhause war wichtig, ein Heim, wo man hingehörte, aber das musste nicht aus vier Wänden bestehen, das konnten ebenso gut Menschen sein, oder Projekte oder Ambitionen.
    Du hast alles verloren, was dir etwas bedeutet.
Hatte sie das?
    Im Grunde fehlte ihr heute nicht wesentlich mehr als gestern.
    Die Kinder hatten keine Kleider, und der Computer war verbrannt, aber alles andere war eigentlich noch da.
Außer Thomas.
    Und Anne.
    Sie stand auf, stellte sich vor den Spiegel.
    Nur noch der innerste Kern ist übrig.
    Ich und die Kinder, alles andere ist abgefallen.
    Sie hatte verloren.
    Schlimmer war es nicht?
    Der Chefredakteur vom
Abendblatt,
Anders
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