Lebenslänglich
wischte den Küchentisch und die Arbeitsplatte ab und setzte sich an den Tisch. Dann holte sie die Kopien aus ihrer Handtasche: zwei Verfahren gegen David Lindholm wegen Misshandlung. Ihr Blick wanderte durch das Fenster hinunter zum See.
Die Leute fügten einander so viel Böses zu. Gab es wirklich Hoffnung für die Menschheit, bei so viel Schlechtigkeit überall?
Annika hörte, wie die kleine Mü der Muminmama im Fernsehen etwas zuschrie, und hielt sich die Hände über die Ohren.
Berit war losgefahren, um fürs Mittagessen einzukaufen, sie war schon eine Ewigkeit weg.
Was ist so schlimm daran, allein zu sein? Warum bin ich so rastlos?
Sie nahm die Kopien, die der Dezernent vom Disziplinarausschuss ihr gegeben hatte, und las die Voruntersuchungsberichte noch einmal durch.
Der erste Fall betraf einen einundzwanzigjährigen Mann namens Tony Berglund. Ein Notarzt des Krankenhauses Söder hatte Anzeige erstattet. Der Krankenbericht, der die Verletzungen des Mannes beschrieb, war drei Seiten lang und sehr detailliert. Laut Einschätzung des Arztes waren die Verletzungen durch schwere und anhaltende Gewaltanwendung entstanden: vier Frakturen und heftige innere Blutungen.
Der misshandelte Mann hatte schon im Krankenwagen angegeben, dass er von einem «Bullen» zusammengeschlagen worden sei. In der Notaufnahme hatte er dann den Polizisten als kräftig, blond und mit markanten Augenbrauen beschrieben.
Die Beschreibung passte zweifellos auf David Lindholm.
In allen Vernehmungen war Tony Berglund bei exakt derselben Version des Ereignisverlaufs in der Luntmakargatan geblieben.
Er war mit zwei Kumpeln unterwegs zu einem Mädchen in der Frejgatan an der Stefanskyrkan gewesen, als fünf Kerle mit Basecaps ihnen an der Ecke Rehnsgatan den Weg versperrten. Die Typen hatten hauptsächlich gepöbelt und geschubst, ein richtiges Handgemenge war es nicht gewesen, aber trotzdem dauerte es keine Minute, bis das Einsatzkommando der Polizei Norrmalm mit quietschenden Reifen aus Richtung Norra Real angerast kam. Vier Polizisten waren herausgesprungen, allen voran der große Blonde.
«Bist du Tony?», hatte er gefragt, und als Tony antwor tete: «Das geht dich einen Scheißdreck an», hatte die Misshandlung begonnen.
Tony Berglund konnte nicht sagen, wie lange der andere auf ihn eingedroschen hatte; er verlor das Bewusstsein, als sein Kieferknochen zerschmettert wurde, und wachte erst im Rettungswagen wieder auf. Die Personenbeschreibung des Polizisten hatte er schriftlich festgehalten, da sein Kinn fixiert worden war. Der zerknitterte Zettel lag dem Voruntersuchungsbericht bei.
Im Prozess hatte der junge Mann dann seine Aussage revidiert.
Sehr merkwürdig.
David selbst hatte angegeben, der Mannschaftswagen sei vor Ort angekommen, als die Schlägerei bereits in vollem Gange war, und die Polizei habe durch ihr rasches Eingreifen Tony Berglund vermutlich das Leben gerettet.
Die beiden Kumpel, die Tony begleitet hatten, waren von zwei anderen Polizisten weggejagt worden und konnten überhaupt keine Angaben zur Sache machen.
Die Kollegen bestätigten Davids Version.
Seine Akte bescheinigte Tony Berglund eine ziemlich handfeste kriminelle Vergangenheit. Erziehungsheim, Schule für Schwererziehbare, Jugendarrest wegen geringerer Rauschgiftvergehen.
Annika seufzte. Armer Kerl.
Sie legte den Fall Tony Berglund beiseite und nahm sich den zweiten Fall vor.
Ein Typ namens Timmo Koivisto
(heißt der wirklich Timmo? Ja, offenbar)
war unterwegs gewesen, um einen kleinen Amphetamin-Deal in Ropsten abzuwickeln. Vorher wollte er nur noch schnell im U-Bahnhof T-Centralen pinkeln gehen, aber gerade als er das Pissoir betreten hatte, wurde die Tür aufgerissen, und ein großer blonder Kerl in Polizeiuniform kam hereingestürmt. Timmo hatte erst geglaubt, dass es sich um einen Scherz handelte und der Typ sich als Polizist verkleidet hatte, aber dann packte der Mann ihn am Ohr und fragte: «Bist du Timmo?», und Timmo hatte es mit der Angst bekommen und versucht, sich loszureißen. Da hatte der Mann Timmos Kopf gegen die Fliesen in der Toilette geschlagen, und dann wusste er nichts mehr.
Der Rettungswagen war von David Lindholm alarmiert worden, der angab, er habe den schwerverletzten Mann bewusstlos in der Toilette liegend gefunden und ihm durch sein schnelles Eingreifen vermutlich das Leben gerettet.
Timmo Koivisto blieb bei seiner Version der Ereignisse bis zur Gerichtsverhandlung, in der er seine Aussage plötzlich widerrief.
Auch
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