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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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auf sie.
    »Wir brauchen dringend ein bißchen Sonne«, sagte Jack, und Gail spürte, daß er sich ebenso zu überzeugen versuchte wie sie.
Gail schaute vom Schlafzimmerfenster aus hinaus zu dem grauverhangenen Himmel. Ob ein Winter streng oder mild war, schien weniger ausschlaggebend als das ewig düstere Firmament, unter dem die Menschen zu leiden hatten.
    Am Tag vor dem Abflug kündigte Jacks neue Sprechstundenhilfe. Er hatte sie gerade erst einen Monat lang angelernt, und nun eröffnete sie ihm ohne jede Vorwarnung, daß sie nicht weiter für ihn arbeiten werde. Als er darauf bestand, den Grund für ihre Kündigung zu erfahren, gab sie an, sie habe eine unüberwindliche Angst vor Schlangen. Er versicherte ihr, die Boa constrictor, die man ihm gestern morgen gebracht habe, sei seit zehn Jahren die erste Schlange, die er behandelte. In seiner Praxis habe er hauptsächlich mit Hunden und Katzen zu tun, und ab und zu noch mit Papageien und Wellensittichen, die für Abwechslung sorgten. Sie wandte ein, sie fürchte, eine Katze könne sie kratzen und infizieren, oder sie bekäme womöglich die Papageienkrankheit. Sie habe schreckliche Angst vor AIDS, fuhr sie fort, und Jack hatte sie in hilflosem Zorn angesehen und sich geschlagen gegeben. Sie ließ sich nicht einmal dazu überreden, wenigstens noch die zwei Wochen zu bleiben, in denen Jack auf Urlaub war. Buchstäblich in letzter Minute war Jack gezwungen, eine Aushilfskraft einzustellen und ihr Überstundengeld dafür zu zahlen, daß sie noch am selben Abend in die Praxis kam und sich von ihm einweisen ließ, damit er am nächsten Morgen abreisen konnte.
    »Wir können den Flug stornieren«, schlug Gail vor, als Jack um Mitternacht heimkam und sich ans Kofferpacken machte. Die Maschine ging um acht Uhr früh.
    »Wir würden aber keinen anderen Flug kriegen. Ich hab’ mich erkundigt. Außerdem hab’ ich dem neuen Mädchen vier Stunden lang alles erklärt. Ich glaube, sie wird zurechtkommen.« Er ließ sich aufs Bett fallen. »Warum bricht eigentlich immer ausgerechnet dann das Chaos aus, wenn man mal weg will?«
    »Ich dachte, AIDS kriegen nur Homosexuelle?« fragte Gail mit echtem Interesse.

    »Wovon redest du?« Jack setzte sich auf und starrte sie an, als habe sie völlig den Verstand verloren.
    »Du hast gesagt, einer der Gründe für Mandys Kündigung sei ihre Angst vor AIDS gewesen. Aber ich dachte immer, AIDS sei eine Homosexuellenkrankheit.«
    »Keiner weiß genau, was es ist. Sicher scheint nur, daß es durchs Blut übertragen wird. Wie Hepatitis. Ich nehme an, sie fürchtete, ein AIDS-Kranker, der sich in den Finger geschnitten hat, könnte ihr seine verletzte Katze reichen, und dabei würde sein Finger die Wunde berühren, auf die auch sie ganz zufällig die Hand legte. Dann würde beider Blut sich vermischen, ihr gesamtes Immunsystem zusammenbrechen und sie ein AIDS-Opfer werden.« Er lächelte bei dem Gedanken. »Ich glaube, ich habe grade die Ängste meiner Sprechstundenhilfe auf einen Nenner gebracht.«
    »Das klingt, als seist du heilfroh, sie los zu sein.«
    »In zwei Wochen hätte es mir besser in den Kram gepaßt.«
    »In zwei Wochen würde Cindy ihren siebten Geburtstag feiern.« Gail sah, wie er zusammenzuckte.
    »Ich weiß.«
    »Sie wäre sieben Jahre alt geworden«, sagte Gail leise vor sich hin und setzte sich ans Fußende des Bettes.

32
    Jack nahm die Küstenstraße von Miami nach Palm Beach. Auf dieser Strecke dauerte die Fahrt zwar eine gute halbe Stunde länger, aber die malerische Landschaft entschädigte reichlich für die Verzögerung. Die Sonne schien, und am Himmel war kein Wölkchen zu sehen. Aus dem Radio erklangen die neuesten Country-Melodien, zuerst ein Lied über verbotene Liebe in einer tristen, verfallenen Absteige, dann eins über die Gefahren des
Alkohols. Als nächstes kam der Wetterbericht: Für die kommenden fünf Tage war ununterbrochen Sonnenschein angesagt. Weit und breit kein Tief. Es folgten die Nachrichten zur vollen Stunde. Eine traurige Meldung aus Miami, verkündete der Sprecher bedauernd. Eine vierköpfige Familie konnte nur noch tot aus einem brennenden Wagen geborgen werden: Die Polizei hatte den Mann, seine Frau und ihre beiden Söhne im Alter von zwei und vier Jahren mit gefesselten Händen in dem Wrack gefunden. Gegenwärtig war noch unklar, ob man die Familie bereits tot oder lebendig in den brennenden Wagen geschafft hatte.
    Jack drehte am Radio.
    »Was machst du denn da?« Gails Hand hielt die seine

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