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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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in den Keller führen mußte, wo er den Ölstand überprüfen sollte, stolperte er über einen großen Frauenakt in leuchtendem Pink und Orange. Die Frau auf dem Bild kehrte dem Betrachter den Rücken zu. Ihr üppiges Hinterteil schwebte über einem Eimer voll Wasser, in das sie den rechten Fuß getaucht harte.
    Der Heizungsmann hatte von dem farbenfrohen Akt auf Gails
feuerrotes Gesicht geblickt und mit lüsternem Zwinkern gefragt: »Bist du das?« Viel später gestand ihre Mutter, sie habe für das Bild Modell gestanden, und für einen zweiten Akt ebenfalls. Letzterer stellte eine Rothaarige dar (Gails Mutter war rotblond), die sich mit wogendem Busen vor einem leuchtendgrünen Hintergrund rekelte. Ein purpurfarbenes Hündchen war diskret in ihrem Schoß plaziert. Eins seiner langen Schlappohren zeigte himmelwärts.
    Im Vergleich mit Dave Harringtons Erfindungen waren seine Gemälde freilich ganz harmlos. Zu seinen zahlreichen genialen Einfällen gehörten ein Keuschheitsgürtel für Hunde, ein Schirm, der sich am Hut befestigen ließ, damit seinem Träger die Hände frei blieben für Tüten und Päckchen, und eine Sonnenbrille mit eingebauten Augenwimpern. Er nahm allen Familienmitgliedern den Eid ab, über seine Erfindungen absolutes Stillschweigen zu bewahren, was in Gails Fall freilich völlig überflüssig war. Sie wäre lieber gestorben, als eins von Daddys Geheimnissen ihren Freundinnen anzuvertrauen, die alle so beneidenswert normale Väter hatten.
    Erst als Gail nach der Scheidung von Mark Gallagher gezwungen war, ihre kleine Tochter Jennifer bei ihren Eltern zu lassen, damit sie ihrer Arbeit in der Bank nachgehen konnte, begriff sie, was für großartige Eltern sie hatte. Aber da war ihr Leben mit Mark schon vorbei. Begonnen hatte es mit einer ganz zufälligen Begegnung...
     
    »Ich bin Mark Gallagher.« Diese selbstbewußte Stimme gehörte einem Mann, der offenbar wußte, was er wollte. Gail hatte von ihrem Lehrbuch zu ihm aufgesehen, und der hübsche, wenn auch ein wenig mürrisch wirkende Kunststudent der Universität Boston erwiderte ihren forschenden Blick.
    »Ich weiß«, sagte sie schüchtern. Ihr Instinkt riet ihr, aufzustehen und wegzulaufen, aber ihre Neugier befahl ihr zu bleiben.
    »Sie kennen mich?« Er setzte sich neben sie auf die Bank. Es
war ein herrlicher Oktobertag, die Bäume leuchteten in warmen Rot- und Gelbtönen. »Aber woher denn?« Sie schwieg.
    »Wie alt sind Sie?« fragte er. »Sehr alt können Sie nicht sein.«
    »Ich bin neunzehn.« Es klang wie eine Verteidigung.
    »Wie heißen Sie?«
    »Gail. Gail Harrington.« Sie zwang sich, ihm direkt in die Augen zu schauen, verlor den Kampf und senkte den Blick auf ihren Schoß.
    »Wovor haben Sie denn solche Angst, Gail?« In seinen Augen blitzte übermütiger Spott. »Sie fürchten sich doch nicht etwa vor mir?«
    »Nein«, erwiderte Gail erschrocken.
    »Möchten Sie mit zu mir kommen und sich meine Radierungen anschauen?« Er lachte auf.
    »Danke, aber ich seh᾽ daheim schon genug Radierungen«, antwortete sie mit ernstem Gesicht.
    »Ach?«
    »Mein Vater ist Maler.« Gail überlegte, warum sie das gesagt hatte. Nie zuvor hatte sie mit einem Menschen darüber gesprochen.
    »Hat er Sie schon mal gemalt?«
    Gail schüttelte den Kopf.
    »Ich würd’ Sie gern malen.«
    »Warum?«
    »Weil Sie etwas sehr Anziehendes haben. Sie strahlen eine seltene Ruhe aus. Die würd’ ich gern auf die Leinwand bannen.«
    »Ich glaub’, daraus wird nichts.«
    »Warum nicht?«
    »Weil...«
    »Weil was?«
    »Warum wollen Sie ausgerechnet mich malen?«
    »Das hab’ ich doch schon gesagt. Interessanter scheint mir die Frage, was Sie dagegen haben.«
    »Ich kenne Sie nicht.«

    »Und wen Sie nicht kennen, den mögen Sie nicht?«
    »Ich glaube nicht, daß ich Ihr Typ bin. Das ist alles.«
    »Wer hat was von Typ gesagt? Ich will doch nicht mit Ihnen ins Bett gehen. Ich möchte Sie bloß malen.« Er machte eine Pause, um die Wirkung seiner Worte zu unterstreichen. »Für so’n schüchternes Mädchen sind Sie ganz schön eingebildet.«
    Gail schüttelte den Kopf. Sie hatte jetzt völlig die Fassung verloren. Sie hoffte, er würde aufstehen und gehen, betete jedoch gleichzeitig, er möge bleiben. »Einverstanden«, sagte sie, als sie merkte, daß er entschlossen war, das Schweigen nicht zu brechen. »Einverstanden«, wiederholte sie und nickte. »Ich bin einverstanden.«
    Mark Gallagher hatte Gail überwältigt und eingeschüchtert. Schon als sie zum

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